Sprache dient der Kommunikation und der Verständigung. Sie ist dynamischen Veränderungen unterworfen. Seit Jahren nehmen die Duden-Redaktion und das Institut für deutsche Sprache in Mannheim (IdS) Veränderungen des Wortbestandes, des Satzbaus und der Zeichensetzung in die jeweils neuste Ausgabe des Dudens auf.
Abgesehen von den allenthalben vorhandenen ewigen Sprachkritikern, die stets über die Jugendsprache herziehen und den Untergang der deutschen Sprache und damit des Abendlandes (O. Spengler) prophezeien, war die sukzessive Anpassung des Regelwerks Duden an den mündlichen Sprachgebrauch kein Thema für die Öffentlichkeit.
Seit drei Jahren ist dies anders. Kein geselliger Abend vergeht, ohne daß nicht eine Diskussion über die anstehende Rechtschreibreform entbrennt. Jeder kann zu diesem Thema etwas beisteuern - und das ist gut so: Die demokratische Auseinandersetzung lebt vom Pluralismus der Meinungen. Fragwürdig hingegen sind jedoch bisweilen die Argumente die gegen die Reform angeführt werden. Die Mehrzahl bleibt im vorrationalen Raum stehen. Es geht um Emotionen. Die Angst, ein errungenes (besser: mühsam erlerntes) Kulturgut zu verlieren, dominiert die Diskussion. Von der Einführung der neuen Schreibweisen bis zum Verfall der deutschen Sprache ist es für viele nur ein kleiner Schritt.
Kulturkonservatismus und Reformunlust sind die Variablen, die die Akzeptanz der angestrebten Rechtschreibreform in weiten Teilen der Bevölkerung verhindern. Beharrende Elemente stehen der Einsicht in die Notwendigkeit der Reform entgegen. Die Bürger haben Angst vor dem Neuen.
Die Ängste sind nachvollziehbar aber nicht verständlich. Denn: Wer möchte von sich behaupten, daß er die alten Regeln der Rechtschreibung perfekt beherrscht, daß er nie einen Fehler gemacht hat und nie etwas nachschlagen mußte? Wer möchte das von sich behaupten?
Mit Logik hängt die alte Orthographie nur am Rande zusammen. Scheinbar gleich konstruierte Wortzusammensetzungen werden unterschiedlich geschrieben. Beispiele:
"radfahren" aber "Auto fahren"
"aneinanderfügen" aber "aneinander denken"
Die anstehende Reform der Rechtschreibung bewirkt eine Vereinheitlichung. Es heißt nun: "Rad fahren", "Auto fahren", "aneinander fügen", "aneinander denken&".
Interessant ist auch folgendes Beispiel: "im Dunkeln tappen" und "im dunkeln tappen" - beide Formen sind im Schriftdeutsch denkbar. Die Groß- beziehungsweise die Kleinschreibung des Wortes "Dunkeln"/"dunkeln" ist nicht willkürlich, sondern für eine Bedeutungsveränderung verantwortlich. "im Dunkeln tappen" heißt sich in der Dunkelheit langsam tastend bewegen; "im dunkeln tappen" hat eine übertragene Bedeutung: von etwas überhaupt keine Idee haben.
Kritiker meinen, die Groß- beziehungsweise Kleinschreibung sei unbedingt notwendig, um zu entschlüsseln, was gemeint ist. Daß in der Regel der Textzusammenhang und das Kontextwissen bei der Dekodierung von Aussagen helfen, unterschlagen sie. Ein Leser merkt sehr wohl, ob ein nächtlicher Spaziergang oder die Ahnungslosigkeit gemeint ist. Im mündlichen Sprachgebrauch, der wesentlich unstrukturierter als die Schriftsprache ist, wird diese Bedeutungsdifferenz ja auch erfaßt.
Diese wenigen Beispiele sollen genügen, um manchen Kritiker zur erneuten Reflexion (Reflektion! Denn: reflektieren) zu bewegen. Und ihn dazu zu bewegen, seinen Kulturkonservatismus und -pessimismus aufzugeben. Ziel muß es doch sein, daß möglichst viele Menschen an der mündlichen und vor allen Dingen schriftlichen Kommunikation ohne Probleme teilnehmen können. Überflüssige und zudem elitäre Regeln helfen in diesem Zusammenhang nicht weiter. Sie tragen zur Trennung von gebildeten und ungebildeten Menschen bei.
Ein Hinweis zum Schluß: Wer würde heutzutage noch "Thuer" oder "Antheil" schreiben, wenn er "Tür" und "Anteil" meint? Diese Schreibweisen, die antquiert erscheinen, waren vor der ersten Rechtschreibreform der Jahrhundertwende gang und gäbe.
Meik Woyke