Interview

Das Exclusivinterview im Amiga Gadget: Aaron "Optimizer" Digulla, Kopf der AROS-Entwicklungsmannschaft.

"Wer braucht denn schon AROS, Herr Digulla?"

von Hannes Diedrich

Wir haben es geschafft, einige Stunden :) von Herrn Digullas kostbarer Zeit in Anspruch zu nehmen; das Ergebnis ist sensationell. Hier kommt das erste Interview mit dem Mann, der wieder Leben in unsere Freundin bringen will; einem Mann, der noch Visionen hat; einem Mann der wohlbesonnenen Tat:


AD: Mein Name ist Aaron Digulla, meine Freunde nennen mich Optimizer, weil ich ständig Verbesserungsvorschläge mache. Ich habe mein Leben in Konstanz am Bodensee zugebracht; hier habe ich an der Fachhochschule Technische Informatik studiert und darf mich jetzt mit dem Titel "Dipl.Inf.(FH)" schmücken. Während und nach meinem Studium habe ich einige Zeit in der freien Wirtschaft zugebracht, bis schließlich klar wurde, daß ich nicht ins Berufsleben sondern in die Lehre gehöre. Daher bin ich ein bißchen weiser an die FH zurückgekehrt und arbeite dort als Assistent in der Wirtschaftsinformatik, wo ich mich jeden Tag mit Windows rumärgern darf. Aus Protest läuft mein eigener Rechner nur unter Linux. Etwa im selben Zeitraum habe ich begonnen, mich für die Zukunft des Amiga zu engagieren. Zuerst habe ich mich an AOS beteiligt und dann AROS ins Leben gerufen.
AG: Wie kommst Du dazu, einen "Betriebssystem-Klone" zu entwickeln?
AD: Weil AmigaOS seit drei Jahren nicht mehr weiterentwickelt wurde, weil Amiga Inc./Int. sich eindeutig gegen ein portables OS ausgesprochen hat und weil ich ein gescheites OS haben wollte, das ich überall hin mitnehmen kann. Ich habe zum Beispiel mal den DME auf Unix portiert, weil ich VI nicht ausstehen konnte. Den verwende ich heute noch, auch wenn er inzwischen, naja, 4 Jahre alt ist :)
AG: Wieviele Coder beteiligen sich zur Zeit an dem Projekt?
AD: Im Moment sind über 30 registriert, aber nur sechs "aktiv", das heißt, sie schicken regelmäßig Code ein.
AG: Welche Programmiersprache verwendet Ihr?
AD: Wir versuchen, alles in ANSI-C zu schreiben und sind damit erstaunlich erfolgreich. Aber man kann jede Datei automatisch durch eine Assembler-Version ersetzen. Beim Übersetzen sucht MetaMake das zusammen. Eine Datei config/m68k/addhead.s ersetzt automatisch rom/exec/addhead.c, wenn auf einer 680x0 CPU übersetzt wird. Dadurch kommen auch Geschwindigkeitsfetischisten auf ihre Kosten.
AG: Wie weit seid ihr mittlerweile in der Entwicklung fortgeschritten?
AD: Wir haben knapp 50 Prozent (47 und ein paar zerquetschte). Aber das ist nicht wirklich die Hälfte der Arbeit, weil es recht einfache Teile vom AmigaOS sind.
AG: Du hast vorhin gesagt, daß einer der Hauptgründe, AROS zu schreiben, die Portablität sei. Aber warum soll ich ausgerechnet AROS und nicht zum Beispiel Unix benutzen, wenn ich ein portables Betriebssystem will?
AD: Weil das AmigaOS (und damit AROS) viel einfacher als Unix ist. Man kann mit Unix zwar mehr machen, aber zum Installieren muß man sich halt schon mit VI und den Files in /etc auskennen.
Außerdem ist Unix auch nicht so portabel, wie es immer tut. Selbst verschiedene Linux-Varianten können inkompatibel sein.
Das AmigaOS dagegen ist einfach, schnell und simpel - und mächtig. Jemand nannte es "Dehnbarkeit". Das AmigaOS kann man ziemlich weit ändern, bevor es zerreißt.

Auf den WWW-Seiten (http://www.aros.org/ ;Anm. d. Red.)ist eine Liste von original Amiga-Software, die direkt unter Linux/m68k läuft (also ohne neu compilieren zu müssen). Auf Linux/i386 läuft schon einiges, wenn man ein paar Stunden daran feilt.
(Meist müssen nur weitere Sachen in AROS eingebaut werden; den Source kann man mit kleinen Änderungen übernehmen).

AG: Warum Linux?
AD: Im Moment entwickeln wir auf Linux, weil es die Entwicklungsgeschwindigkeit einfach potenziert. Wir können AROS hier zum Beispiel im Debugger starten und so den Kern schrittweise ausführen, Exec Listen ansehen, etc. Auf dem Amiga müßten wir dazu erstmal aufwendige Kerneldebugger schreiben, die mit der seriellen Schnittstelle arbeiten, usw. Auf Linux gibts das alles. Warum nicht nehmen, was eh schon da ist?
Vor kurzem hat jemand angefangen, AROS auf Linux/m68k soweit zu bringen, daß man original Amiga-Soft laufen lassen kann. Das entspricht wieder unsere Philosophie: Wenig Aufwand und viel Wirkung.
AG: Also Plattform Linux?
AD: Auf dem Amiga kann man Linux ja installieren. Wenn wir AROS darauf laufen lassen, können wir wieder mit Amiga-Programmen testen, ob alles geht. Wenn AROS abstürzt, kann man den Debugger anwerfen. Wenn der Rechner mit abstürzt, was beim original AmigaOS ja fast unvermeidlich wäre (bei den Sachen, die wir machen), dann würde es ewig dauern, überhaupt irgend etwas zu erreichen.
AG: Aber im Endeffekt wird AROS doch kein Aufsatz auf ein anderes Betriebssystem sein?
AD: Es wird AROS auch als eigenständiges OS geben.
AG: Wird das Projekt von Amiga Inc./Int. gefördert?
AD: Nein, bisher nicht. Es hat auch noch keine Gespräche in der Richtung gegeben. Darum fahre ich nächste Woche (10. - 16. 11. 1997; Anm. d. Red.) nach Köln. Ich hoffe, dort mit Petro reden zu können und die Zukunft von AROS zu sichern - oder eben nicht.
AG: Wann wird AROS fertig sein?
AD: Das ist 'ne gute Frage.
AROS wird bis Ende 1998 alles können, was AmigaOS 3.1 jetzt kann. Da bin ich mir hundertprozentig sicher.
Die Frage ist: Wird es AROS so lange geben? Amiga Inc./Int. könnte sich entscheiden, das Projekt zu stoppen. Schließlich geben wir umsonst raus, was die verkaufen wollen.
AG: Welche rechtlichen Möglichkeiten haben die gegen euch?
AD: Wir haben uns entschieden, das Projekt zu stoppen, wenn Amiga Inc./Int. das wünscht.
Nun, auf der Basis von Copyright können sie uns nicht angreifen, weil wir nur ein kompatibles Produkt herstellen. Das sähe zum Beispiel anders aus, wenn wir zum Beispiel Disketten mit dem Source von ihnen geklaut hätten. Aber patentrechtlich gesehen haben wir keine Chance, ebenso könnten sie uns wegen Verletzung von Trademarks oder eingetragenen Warenzeichen drankriegen. Aber wir wollen in keinem Fall, daß es auf eine Gerichtsverhandlung oder Krieg rausläuft. Dabei würden nur alle Seiten draufzahlen.
AG: Auf welche Systeme wollt ihr AROS portieren?
AD: Auf so viele wie möglich. Im Moment läuft AROS auf Linux/i386, Linux/m68k und ein (leider) kleiner Teil auch auf AmigaOS als großer SetPatch. AROS kann also das AmigaOS im Moment und auch in nächster Zukunft nicht ersetzen. Evtl. wird AROS nie AmigaOS ersetzen können, zB. dann, wenn Amiga Inc./Int. sich hinter die Entwicklung klemmt. Wir sind nur eine kleine Gruppe von Leuten und unsere Resourcen sind begrenzt. Eine Gruppe von Vollzeitentwicklern kann uns locker abhängen.
AG: Wie sieht's mit MAC/Atari aus?
AD: Wir stehen auf dem Standpunkt, daß jeder AROS auf jede Plattform portieren darf und wir das unterstützen, wenn sich jemand das vornimmt. Aber wir konzentrieren uns selbst auf die Hauptsysteme, das sind Amiga und i386. Die anderen "Märkte" sind einfach zu klein :-)
Nochmal zum Ende von AROS: Selbst wenn Amiga Inc./Int. uns stoppen sollte (was noch nicht raus ist), dann haben wir trotzdem eine Menge Wissen gesammelt, das in Entwicklungstools für Amiga und x86 fließen wird. Außerdem haben wir einen genialen Standard für Gerätetreiber entwickelt, den wir anderen Unix-Systemen unterschieben wollen. Dadurch könnten alle Systeme, die auf diesem Standard basieren, ihre Treiber austauschen. Ich verweise nicht ohne Stolz auf unsere Homepage unter http://www.aros.org/
AG: Wie funktioniert das Treibersystem?
AD: Der HIDD Standard (Hardware Independent Device Drivers) basiert auf BOOPSI. Wir haben die Funktionen von BOOPSI in eine eigene .library gepackt. Der Witz ist nun: Man kann Geräte-Treiber von einer allgemeinen Klasse ableiten und so Code sparen.
Ein Grafik-Treiber zum Beispiel muß nur drei Funktionen haben:
1. Öffne ein Display mit einer fixen Auflösung.
2. Setze einen Punkt.
3. Frage die Farbe eines Punktes ab.
Der Rest kann von einer abstrakten Klasse erledigt werden, und dadurch kann man einen Treiber für eine neue Grafikkarte in Minuten schreiben. Der ist zwar lahm, kann aber trotzdem alles. Und dann kann man optimieren.
AG: Dein Kommentar zur Zukunft des Amiga?
AD: Die Zukunft des Amiga... hmmm...
Die Frage ist schwer zu beantworten, ohne von den Jüngern des Amiga gesteinigt oder von sogenannten "Realisten" belächelt zu werden. Ich versuchs mal so: Der Amiga, wie wir ihn heute kennen, hat keine Zukunft. Die Hardware ist zu alt, die Software vielleicht zu lange nicht weiterentwickelt und die Fans zu "kindisch". Insofern ist mein Projekt sinnlos. Wir müssen den Amiga würdig beerdigen und uns klarwerden, was wir wollen: Wir wollen eigentlich nicht den Amiga retten, sondern das Amiga-Feeling.
Das besondere am Amiga war immer, daß man unglaublich viel machen konnte und das mit extrem wenig Aufwand. WinWord kann zB. auch alles, aber es wirkt unhandlich, nicht intuitiv. Beim Amiga geht weniger, aber er liegt besser in der Hand.
AG: Willst Du noch was loswerden zum Schluß? Einen schlauen Spruch oder so?
AD: Hmmm... ein weiser Rat? Gib niemals auf - wenn es nicht funktioniert, hast du es nicht versucht. Oder du solltest mal darüber nachdenken, warum es nicht funktioniert ;-)
Ich mache das AROS Projekt nicht, um Geld damit zu verdienen, sondern weil ich das Feeling mag und es zumindest für mich selbst erhalten will. Außerdem ist das AmigaOS an manchen Stellen anderen Betriebssystemen immer noch um Lichtjahre vorraus (wenn man betrachtet, mit wie wenig Aufwand man etwas mit dem AmigaOS hinbekommt).
Ach ja: Ich werde auch am 28. - 29. November in Mailand auf der IPISA eine Rede über AROS halten. Oder über HIDDs, wenn es AROS dann schon nicht mehr gibt.
AG: Danke fürs Interview.
AD: Keine Ursache :-) War ja eine schwere Geburt ;-)


[ Das Interview führte Hannes Diedrich für das "AmigaGadget".]


Nachtrag: Auch nach den Gesprächen in Köln ist über das Schicksal von AROS noch nicht endgültig entschieden. Die Frage wird derzeit von Amiga Inc. geprüft.


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