Ich hab` da sohn Film gesehen vonnem Katholiken:
I. a. Die letzten drei Actionrollen des Nicolas Cage hatten einen gemeinsamen Nenner: ein vorbildlicher Held muß unfreiwillig und mindestens ebenso unverdient in einen Superknast. Wer nun ob dieser Konstellation über den (vorläufig?) letzten Film dieser Serie ein Standardurteil fällt, liegt falsch.
b. Als ein Meilenstein innerhalb eines Filmgenres erweist sich ein Film, der die Spielregeln seiner Zunft zu höchster Perfektion treibt, inhaltlich neue Aspekte setzt und die Konventionen seines Genres gleichzeitig für immer neu diktiert. An diesen Kriterien gemessen ist John Woos neuester Werk Face/Off ein Meilenstein des Actionkinos. In letzter Zeit oft gehört und trotzdem wahr. Kurz resümiert: die Actionsequenzen sind maßstäbesetzend, die Story überzeugend wasserfest, das ganze mit zwei hervorragenden Darstellern - Travolta und Cage - feinsinnig inszeniert von dem - jaja, Superlativtag - besten Actionkoordinator des heutigen Kinos. Doch außer einer explosiven Action-Karosserie fährt der Zuschauer gut mit einer Story, die tiefsinniger daherkommt als handelsüblich, und die sich in letzter Konsequenz als anthropologischer Sozialisationsansatz und psychologisches perpetuum mobile erweist, das nicht zuletzt dadurch nachdrücklich wird, daß der Meister selbst bei der Endfassung des Drehbuchs Eigeninteressen durchzusetzen verstand.
II. Face/Off beginnt mit der Ermordung von Michael Archer, dem Sohn des
Antiterrorspezialisten Sean Archer (Travolta), der einem Anschlag des
Terroristen Castor Troy (Cage) erliegt - einem Anschlag, der Sean galt. Seitdem
läuft dieser mit einer Narbe von dem Durchschuß herum: der Sohn starb, und der
Vater lebt; doch der Vater wünscht nur seinen Tod für das Leben des Sohnes. Am
Bildrand macht Feuerbach winkewinke. Doch bereits hier zeigt sich Woos
einmalige Begabung, extrem kitschige Bilder glaubwürdig zu machen. Wie Castor
Michael da vom Holzpferd holt, daß ist schon hirnerweichend. (Sucker: WARUM
schießt Troy nicht nochmal, während Sean da wie in der Grundausbildung auf
dem Boden rumrobbt und demobilisiert ist?) In Face/Off gibt es keinen Fall
und keine Ermittlung. Es wird nie geklärt, warum Troy auf Archer schoß, der
18. ist ein völlig numinoses Datum irgendwann in der Badesaison. Woo
reduziert seine Story auf die tödliche Auseinandersetzung seiner beiden
Kontrahenten.
Nun mutet Woo uns einen Zeitsprung von 6 Jahren zu und etabliert seine
beiden Gegenspieler: Archer ist ein extrem fanatischer Verfolger des
Kindsmörders, und Troy ein extrem lebenslustiger und sexbesessener
Terrorist ("Ich erlaube dir, an meiner Zunge zu lutschen!"). Just hat er
in Los Angeles - der Stadt der Engel, und, unnötig zu ergänzen, der
Teufel - eine extreeem-GiftgasBombe plaziert und für den 18.
detonationsbereit gemacht. Archer erfährt davon und jagt Troy auf dem Flug
zum Nimmerwidersehn. Es gelingt immerhin, den kleinen und retardierten
Bruder, Pollux Troy, festzusetzen, doch im Zweikampf landet Castor im Koma.
Archer ist zwar erfolgreich gewesen, aber kein bißchen glücklicher. Und so
entschließt er sich, nachdem seine persönliche Rache unsachgemäß beendet
scheint, das Versteck der Bombe aus Pollux herauszuholen. Der Weg dazu ist
atemberaubend: Archer muß sich unter strengster Geheimhaltung einer
lächerlichen, grotesken, ingeniösen und einzigartigen Operation unterziehen,
nach der er in Gestalt von Castor Troy aufwachen wird: ein Chirurg der
Extraklasse verändert erst seinen Körper, um dann Archer das Gesicht
abzuschneiden und ihm das von Castor zu applizieren. Archer läßt sich auf
den Handel ein. Doch welchen Teufelspakt er da geschlossen hat, weiß er
erst, als er aufwacht und mit seinen Augen im Spiegel Castor erblickt.
Desungeachtet wird er als Castor ins Gefängnis gebracht und holt aus
Pollux das Bombenversteck heraus. Der Preis ist hoch: vor den anderen muß
er sich als Castor erweisen. "ICH BIN CASTOR TROY!" brüllt er, und weckt
langsam die dunkle Seite in sich. Der Schatten des Selbst wacht am Eingang
zur Hölle. Und erwacht in diesem Moment personifiziert als C. T. aus dem
Koma, um festzustellen, daß er sein Gesicht nicht wahren konnte. Castor
ist außer sich, doch rasch trommelt er den Arzt und Seans zwei Mitwisser
zusammen, zwingt sie, ihm Archers Frontalskalp zu verpassen und bringt alle
um. Spätestens damit ist das gängige Gut-böse/ schwarz-weiß - Schema ad acta
gelegt. Die Identifikation wird dadurch schon erschwert, daß die Darsteller
die Rollen tauschen. Woo pointiert die method-Wahrheit, daß man nur spielen
kann, was man selber ist. Nun verlieren die Charaktere auch noch den Halt
ihrer Identität. Denn mit dem Gesichtertausch betont der Film ja nur die
Wesensgleichheit der Protagonisten. Beide sind psychisch differenziert und
zugleich in fast krankhafte Stereotypen eingefahren. Beide sind nur mit
ihrer "Arbeit" verheiratet, und beider Arbeit ist Obsession. Beide sind zu
keinerlei befriedigender Bindung zu Frauen fähig. Für beide ist ihr Wille
Gesetz - nur stehen sie auf verschiedenen Seiten. Beide sind durch einen
Zufall aneinandergekettet, jetzt nicht mehr als vorher. Die Monomanie ihrer
Charaktere ist keine: beide definieren sich erst in ihrer Gegensätztlichkeit
als existent. Der eine ist nicht ohne den anderen. Doch von den Werten
chinesischer Ritter, die Woo seinen Gegenspielern sonst mitgab: Würde, Ehre,
Achtung, ist hier nichts übrig., Einzig der Haß verbindet sie. So weiß Woo
auch: "In dieser Welt gibt es nicht einfach nur gute und böse Menschen."
So kann auch Troy Archers Gesicht tragen. Und er tut es mit diebischer Freude,
denn er läßt seine schillernde Persönlichkeit voll auftrumpfen. Während
Archer der Echte nun auf ewig inhaftiert bleiben soll, trägt Troy dessen
Gesicht des Gerechten in der Welt umher. Als erstes befreit der Pollux als
Kronzeugen. Dann rettet er die Stadt vor der Bombe und wird zum Held. Dann
nutzt er seine Position und seine Vergangenheit, um die terroristische
Konkurrenz auszuschalten. Das Perverse und zugleich so überzeugende ist diese
Kontinuität der Charaktere: Archer bleibt Archer und Troy bleibt Troy (F.
Nietzsche: Mit seiner Zunge kann der Mensch soviel lügen wie möglich, mit
seinem Gesicht niemals.). Archer erlebt seine eigenen Züge, die ihn Troy
von selbst ähnlicher werden lassen. Und Troy genießt Archers bürgerliche
Existenz, aber noch mehr: er erfüllt die Bedürfnisse der Archer nahen
Menschen. Archer war ein Egozentriker, Troy ein Selbstdarsteller. Und Troy
gelingt es, der Tochter Jamie Selbstbewußtsein zu geben, den Kollegen ein
angenehmer Mitarbeiter zu sein und - Archers Frau der ersehnte Mann und
Liebhaber. Die Übertragung seiner Selbstgefälligkeit auf Archers Umfeld wird
positiv sanktioniert. Mit einem Wort: Troy ist als Archer ein besserer Vater
und Mann, als Archer dies selber war.
Das geht natürlich nur, weil wir in der Moderne leben und unsere Identität
verloren haben. Nicht nur Archer erlebt Identitätskrisen, auch seine Tochter
dümpelt in melancholisch-aggressiver spätpostpubertärer Selbstinkongruenz
dahin. Seine Frau ist ihm entfremdet. Seine Kollegen sind ihm nur Funktion
in seiner Rache.
Und Nicolas Cage greift sich immer wieder erschreckt ins Gesicht, um
festzustellen, daß der Alptraum wahr ist, und um zugleich Sicherheit zu
erhalten, daß die "Maske sitzt". Doch irgendwie kann Archer fliehen und
nimmt seinerseits Troys Unterweltrolle ein. Jetzt zeigt sich, wie perfekt
der Tausch ist: Archer nutzt das Wissen um seine eigene Privatsphäre und das
von Troys Umfeld dazu. Keiner kannte Castor Troy so gut wie er, und nun ist
es, als wäre er durch den Spiegel gegangen und stünde einfach auf der
anderen Seite. Dann offenbart er sich Eve, die hinter dem verhaßten
Gesicht ihren Mann erkennt. Eine Blutuntersuchung gibt ihr Gewißheit. Doch
das vergrößert ihre Ohnmacht noch mehr: sie verliert den Mann, der sie
befriedigen konnte und gewinnt den ihr Treuen Im Körper des Feindes. Ihre
Hilflosigkeit und ihre wiedergewonnene Emotionalität multiplizieren sich.
Leider wirkt Joan Allen bei darstellerischer Klasse in erotischer Hinsicht
so wie die verkörperte Chefärztin: vollkommen antiseptisch...
Troy jagt Archer, bläst seinen ehemaligen Freunden das Hirn aus dem Schädel
und die beiden stellen sich gegenseitig. Die Konfrontationen nach dem Tausch
hat Woo großartig visualisiert: nur die beiden Gegner, die sich in einem
leeren, dunklen Raum gegenüberstehen (oder auch nicht), der in diesem Fall
sogar noch von Spiegeln "begrenzt" ist. Rücken an Rücken stehen Troy und
Archer gegen einen Doppelspiegel und kommen zu dem Schluß: "Warum knallen
wir uns nicht ab?" Beide schießen - in ihr eigenes Spiegelbild. Und
überleben. Jedenfalls vorläufig. Im Verlaufe der Schlacht tötet Archer
Pollux. Damit stehen sich die Gegner gleichberechtigt gegenüber. "Kein Vater
kann das verzeihen!" sagt Archer. Troy kontert: "Auch kein Bruder!"
Das Drama der egoistischen Gene. Woos aggressive Schnittechnik tut ein
übriges. Doch dann lernt Archer Troys Freundin Sasha kennen - und ihren
Sohn Adam, den sie mit Castor hatte und immer vor ihm geheimhielt. Er nimmt
Troys Rolle an, indem er sich bei ihr entschuldigt. Er wird wirklich Troy,
indem er dessen Schuld ein wenig zu tilgen versucht, und damit - liegt hier
doch seine Entfremdung zu Eve über der Szene - nimmt er seine eigenen
Fehler an. Es ist kaum zu unterscheiden, ob seine Worte an Sasha oder Eve
adressiert sind. Das Ende vom Lied setzt in einer Kirche an. Troy ermordet
seinen Vorgesetzten, und nach der Beisetzung folgt die Bleisetzung. Archer
und Troy nehmen Geiseln, verwirren ihre Lieben und prügeln sich, daß es
eine Wonne ist. Irgendwann wird Sasha erschossen. Auf eine jener
wootypischen Direkt-Konfrontation mit möglichst komplizierter Konstellation
folgt direkt eine wootypische Rennbootjagd. So beginnt, nachdem Face/Off
bereits abendfüllende Länge erreicht hat, ein exzessiv-finaler Showdown,
in dem Woo nur eines belegt: die Vergeblichkeit, die Ergebnislosigkeit und
Beschränktheit menschlichen Tuns, aufgrund der Gleichwertigkeit der
Charaktere.
Am Schluß stellen die Gegner sich nicht, sie erschöpfen sich. Der Kampf
wird immer direkter, bis nur noch die Armlänge einer Harpune sie trennt,
die Archer Troy in den Körper jagt. Stigmatisiert verendet der Terrorist,
in Christuspose an eine Planke getaped. Die Herbeieilenden nehmen Archer
ohne weitere Fragen wieder bei sich auf.-
An dieser Stelle bieten sich zwei Möglichkeiten an. Entweder muß Archer
Troys Gesicht behalten: Man kann nichts hassen und vernichten, ohne
genauso zu werden. Diese Variante wäre der Konsequenz des Films angemessen.
Oder: Am Schluß nimmt Troy die dunklen Seiten beider mit in die Ewigkeit.
Es war bereits angedeutet, daß Woo offensichtlich diese Lösung nie in
Frage gestellt hat. Denn auch wenn Troy Archers Gesicht entstellen will:
Innen und Außen gehören zusammen. Und der Zuschauer muß auch sehen, was
er sieht. Archer muß sein Gesicht wiederhaben. Doch nicht nur das: Nach
Troys Tod ist Archer ein heiler Mensch: seine Narbe ist verschwunden. Der
Dualismus seiner Persönlichkeit ist verschwunden. Keine Frage, diese Variante
ist viel wünschenswerter... Hier nimmt der Kampf der Antagonisten religiöse
Züge an. Schon in der Kirche (Symbolismen a la Woo) fliegt eine Taube auf,
und das Kino erbebt. In der Zeremonie bittet Archer um das ewige Leben. Er
wird es erhalten, denn indem er Troy tötet, tötet er dessen Züge in sich
selber. Einer stirbt für beide, und einer lebt für beide. Insofern kann Woo
tatsächlich sagen: "Wenn es eine Botschaft in meinen Filmen gibt, ist es ...
die Hoffnung auf eine bessere Zukunft." Die Charaktere sind bis zuletzt
transzendent. Gut ist gut und schlecht ist schlecht. Das zeigt sich in
ihrem Kampf, denn Michaels Tod hat Auslösefunktion, ihm muß aber eine nie
geklärte, noch weiter zurückliegende Feindschaft vorausgehen. Die Essenz
geht der Existenz voraus. So bleibt auch das Motiv für den Anschlag im
Dunkeln und der Mord, der keiner (weil nicht beabsichtigt) war, ist ein
weiteres Glied in der Kette von Feindschaft, die sich immer enger schlingt.
Denn der Antagonismus ist in mancher Hinsicht auch keiner. Grundlegend
trennt Archer und Troy ihr Verhältnis zu den Menschen: Troy benutzt sie, wo
er kann, und läßt sich selber nur soweit benutzen, wie er daraus Vorteile
ziehen kann. Er ist ein extremer Hedonist. Archer kann und will sich nicht
einmal Eve öffnen: mit seiner Einsamkeit muß er allein bleiben. Und
außerdem: vergeht Troy sich an Händels Messias (laut, lustig und falsch) und
nebenbei auch einer Chorsängerin... Auch trotz der "Gestapo-Methoden" (Lazarro
zu (dem falschen) Archer) bleiben die Kontrahenten ohne fundamentale
Ähnlichkeit. Woo inszeniert gegen bessere Einsicht.
Da ist noch die Sache mit der Blutsbande und dem Verteilungsfaktor eigener
Erbanlagen. Und John Travolta straft alle Soziobiologen Lügen, schafft er
es doch, völlig zu verzeihen: denn nicht nur, daß Archer ein neuer Mensch
ist. Am Schluß kommt Archer in sein Haus, nachdem er sein Gesicht
wiedererhalten hat. Doch er bringt Adam Troy mit - so alt wie Michael.
Eve nimmt ihn auf und wird seine neue Mutter. Entweder Sean hat hier den
Genegoismus mit in alle Ewigkeit verbannt oder beweist final die genetische
Identität von Castor mit ihm. Hurra, Sieg der Milieutheoretiker. Eve und
Archer küssen sich. Wir wollen, daß der Kreis der Maniriertheit sich
schließt, und siehe da: Ausblende. Die Parzelle der Ehe, eine Institution,
die Woo mit dem Symbolismus des Rings hinreichend abgesegnet hat, wird
erst durch die Erweiterung zur Familie geheiligt. Daß in Wirklichkeit
Archer im Mittelpunkt steht, zeigt die letzte Einstellung. Er hat das Böse
und die Vergangenheit hinter sich gelassen. Er ist Eve näher als je zuvor,
weil er sich selbst gefunden hat. Im Körper des Feindes. Pfui, wie wunderbar.
Nichts bietet Face/Off weniger als eine Ontologie des Bösen. Nur banal ist es sicher nicht, soviel Kirche haben wir nämlich im Actionkino schon zu lange nicht mehr gesehen. Und gerade deswegen eignet der Film sich als Musterbeispiel pseudophilosophischer Kinoware ideal. Woo ist ein nachdrücklicher Katholik: "Der Glaube ist das Zentrum meines Lebens." Das zeigt bereits seine Symbolik. Wenn man seine Erfahrungen respektiert ("Die Slums waren die Hölle, in der Kirche ist es wie im Himmel. Das kann wohl jeder nachvollziehen.") und keine Religionskritik aufzieht, bleibt doch bei aller Prätention eine Inkongruenz: Der Charakter ist ontologisch nicht greifbar - doch durch den Menschen im Handeln überwindbar, und nicht nur der des anderen durch Exterminierung, sondern auch der eigene. Diese Katharsis will nicht passen. Ein großes Stück Hoffnung...
III. John Woo gilt als Blut-und-Blei-Karajan, als Action-Guru, als Mozart
der Zerstörung. Action und Gewalt gehen untrennbar Hand in Hand, doch Woos
neuer Anspruch ist groß: "Ich will die besten Seiten der kulturell und
spirituell völlig gegensätzlichen Welten Hongkong und Hollywood miteinander
verbinden." Daß diese Polarisation nach hinten losgehen kann, siehe oben.
Was ist angesichts von Face/Off zur Gewaltfrage zu sagen? Woo verneint jeden
persönlichen Bezug zu diesem Thema, gesteht aber einen sozialen gleichwohl
ein. Trotzdem soll das Werk reines Entertainment sein: "...es war nie meine
Absicht, Gewalt darzustellen." "Meine Filme sind pure Unterhaltung, mit der
ich keinen schlechten Einfluß auf junge Leute auzsüben möchte. Sollte ich das
doch tun, würde ich sofort aufhören." Soviel Moralität überrascht aus zwei
Gründen. Einmal scheint hier eine Diskrepanz zu bestehen zwischen der
praktischen Gewaltablehnung - Ist Hollywood vielleicht selber auf Gewalt
aufgebaut - gegenüber Kunst und Publikum? Gilt nicht gerade die starke
Emotionalität, die Woo anstrebt, häufig soviel wie eine psychische
Vergewaltigung des Zuschauers - eben weil er bekommt, was er an Banalitäten
und Selbstgefälligkeiten fordert, und indem er nicht zu Kritik und Reflexion
angeregt wird?- und der elaborierten Inszenierung derselben. Und zweitens ist
für "Unterhaltung" eben der Umstand: "Meine Filme haben eine starke Wirkung...
Ich versuche nur, starke Gefühle auszulösen" angesichts ihrer
christlich-metaphysischen Dimension jeder Relativierung enthoben.
Auch inszeniert Woo nicht nur in Zeitlupe fliegende und beidhändig ballernde
Kämpfer. Mit Komponist John Powell bietet er ein peitschendes, suggestives
Adrenalinkino, dessen Zerstörungskaskaden das Auge des Zuschauers auch
dank einer äußerst harten Schnittechnik bis zum Äußersten fordern. Das sei
hier gar nicht angegriffen. Aber: Die "Gewalt" dient nicht ausschließlich
der Vertiefung der Charaktere. Punkt.
Zudem häufen sich hier diverse standard-faschistische Elemente. Woo selber:
"Meine Filme sind wie Comics." Stimmt. "Im wirklichen Leben können keine
Leute durch die Luft fliegen und schießen. Im Film sieht so etwas gut aus,
aber ich glaube nicht, daß Leute wirklich daran denken, es nachzumachen." Da
soll er sich doch mal fragen, worauf den der Mechanismus der Identifizierung
beruhen könnte. Daß der in diesem Fall ambivalent gestaltet ist, denn immerhin
sind sowohl Travolta wie Cage Sympathieträger, ist zweitrangig. "Zudem lehne
ich Gewalt strengstens ab." Macht nichts, denn er heroisiert, pathetisiert
ins Unermeßliche. Zudem wird Gewalt hier mit Töten gleichgesetzt - ziemlich
unsubtil. Und Woo ästhetisiert ganz gewaltig. Nicht umsonst zaubert er
Ballette und läßt sich von äußerst eindeutiger Musik (hier: Mozart)
inspirieren.
Die echten Gemetzel begehen natürlich die "anderen". Ivan bekommt im Knast
vorgeworfen: "Laß das!" Zwar kann man Woo keine Absicht unterstellen - er
hat sich dem Genre angepaßt und ist König geworden. Doch eine diffizile
Distanzierung war auch nicht sein Anliegen. So bleibt die Gewaltdarstellung
zumindest ambivalent, denn allein den Nachahmungsgrad zum Beurteilungskriterium
zun machen, ist (auch) eine (Selbst-)Täuschung. Und Woos state "Die Gewalt
in der Realität ist bei weitem grausamer" hat keinerlei Aussagekraft über
die Frage, ob es denn wünschenswert ist, Actionfilme zu produzieren...
IV. [..]
V. Ein anderer LA-Thriller, die Großstadtsaga Heat von Michael Mann, war einfach besser. Sowohl Logistik wie existentielle Dimension der Handlung standen Face/Off in nichts nach, und während hier John W. mit trivial verbrämter Metaphysik das jüngste Gericht inszeniert, ist dort zwar der Konflikt in Humanismus transformiert, aber das Filmende ist keine rigorose Lösung..
(Woo-Zitate sind entnommen: Interviews in Moviestar Nr 34, S. 51 und cinema Nr. 233, S. 40)
© Johannes Strauß
30. 10. 1997