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Joseph R. Garber: Der Schacht

Verlag : Piper Verlag München
Genre : Thriller
ISBN : 3-492-22476-8
Preis : 16.90 DM
Autor : Joseph R. Garber
Titel : Der Schacht

Man hat schon oft ein Medium unter dem Eindruck neuerer, dem fortgeschrittenen Stand der Technologie entsprechender Kommunikationsformen abgeschrieben. Doch zumeist waren die Nachrufe verfrüht, erwiesen sich etablierte Medien als überlebensfähig auch angesichts moderner Konkurrenz. So verschwand die Zeitung nicht von der (pardon) BILDfläche, obwohl Nachrichten aktueller und preiswerter über den Rundfunk verbreitet werden konnten. Auch wurden die Menschen der erzählten Geschichte in Buchform nicht überdrüssig, als das Kino Märchen und Romane darbot, die man sich nicht erst mühsam erlesen mußte. Und das Kino selbst entpuppte sich als besonders zähes Medium. So überlebte es nicht nur die Eroberung der Wohnzimmer und des Äthers durch das Fernsehen. Es zeigt sich bisher auch (noch ?) sehr resistent gegenüber den ersten Versuchen, Unterhaltung über Computernetze anzubieten. Doch nun sieht es sich einer ganz neuen Bedrohung ausgesetzt. Ausgerechnet das Buch, ursprünglich als potentielles Opfer des Lichtspieltheaters gehandelt, setzt zum Gegenschlag an. Inzwischen ist die Generation der Kino- und Fernsehzuschauer in ein schriftstellerfähiges Alter gekommen. Und sie bedient sich frech der Mittel, die ansonsten TV und Kino benutzen, um ihr Publikum zu fesseln. Ein Musterbeispiel dieser hochgradig visuell wirkenden Unterhaltungsliteratur ist Jospeh R. Garbers "Der Schacht" (im Original: "Vertical Run"), das nun auch als Taschenbuch erschienen ist.

David Elliot ist ein ehemaliger Vietnam-Soldat, der den Übergang in das Leben nach dem Krieg geschafft hat. Er hat aus erster Ehe einen Sohn, den er sehr liebt, in Helen eine eigenständige, seine zweite Frau, ein Appartment in einer der besseren Gegenden von New York und schließlich auch einen hervorragenden und ungefährlichen Job. David ist einer der Top-Manager bei einer finanzstarken Firma namens Senterex. Dennoch wird sein Leben zumindest zum Teil noch von den Erfahrungen geprägt, die er im Kampfeinsatz in Südostasien gemacht hat - was sich insbesondere in einem ziemlich asketischen Lebenswandel niederschlägt. So ist er auch an dem Tag, an dem die Handlung von "Der Schacht" beginnt, sehr frühzeitig in seiner Bürosuite im 45. Stock des New Yorker Bürogebäudes, in welchem u.a. eben auch die Firma Senterex residiert. Doch plötzlich scheint sich sein Leben in einen Alptraum zu verwandeln. Ohne daß David dafür eine Erklärung hat, scheint sich die ganze Welt auf einmal gegen ihn verschworen zu haben. Und das beschränkt sich nicht auf einen Tag voller kleiner Mißgeschicke - David Elliot muß um sein Leben kämpfen. Er sieht sich mit zahlreichen Unbekannten konfrontiert, die alles daran setzen, ihn zu töten und ihn vor allem auch nicht aus dem fünfzigstöckigen Bürohochhaus entkommen lassen wollen. Glücklicherweise ist David dank stetem morgendlichen Jogging durchtrainiert und fast noch so gut in Form wie als Green Beret-Soldat in Vietnam, so daß sich die Killer einem geschickten und letzten Endes auch sehr gefährlichem Gegner gegenüber sehen. Allerdings muß David schon bald erkennen, daß ihm nicht nur ein paar finstere Gestalten in dunklen Anzügen nach dem Leben trachten. Vielmehr wenden sich urplötzlich gute Freunde gegen ihn - und das ohne ein Wort der Erklärung. David sieht sich allein auf weiter Flur und als todgeweihte Beute in einer gnadenlosen Treibjagd durch die klaustrophobische Enge des Hochhauses.

Selten wirkte ein Buch so bildhaft-visuell wie Joseph R. Garbers "Der Schacht". Garber, der selbst drei Jahre in der U.S.Army diente und danach als Wirtschaftsberater tätig war, gelingt es, mit einfachen, klaren (Haupt)Sätzen eine dichte Atmosphäre zu schaffen, allerdings ohne sich dabei auf die Kraft der Phantasie des Lesers zu verlassen. Vielmehr greift er ungehemmt und ungeniert zu den Stilmitteln, derer sich ansonsten Kinoregisseure bedienen. Zwar sind Rückblenden auch in der Literatur nichts ungewöhnliches. Im "Schacht" werden sie aber situativ so geschickt genutzt, daß sie wie sonst nur ein harter Bildschnitt dem Leser den Eindruck der direkten Erinnerungen an das Geschehen in Vietnam vermitteln, die über den verwirrten und gehetzten Protagonisten hineinbrechen. Gedanken und Gefühle, eine Beschreibung der Psyche und des Innenlebens werden die sonst solch psychologische Tiefendeutung gewohnten deutschen Bücherfreunde im "Schacht" vergebens suchen. Wenn ausnahmsweise einmal die Darstellung eines inneren Zustandes, eines Gefühls oder einer Erinnerung erforderlich ist, erfolgt diese anschaulich über die Beschreibung einer entsprechenden Gegebenheit in der Vergangenheit. Jede der unterteilten Sektionen der in zwei Teilen zusammengefaßten zehn Kapitel endet zudem mit einem "Cliffhanger". Dieser insbesondere aus Fernsehserien bekannte dramaturgische Kunstgriff besteht darin, der Handlung am Ende eines Abschnittes (oder einer Episode) plötzlich eine überraschende Kehrtwendung zu geben und so den neugierig gewordenen Leser (den Zuschauer) dazu zu bringen, sich ohne Zögern mit dem nächsten Abschnitt zu beschäftigen (zur nächsten Folge wieder einzuschalten). Auf assoziative Sprachformulierungen und den Einsatz von Metaphern verzichtet Garber völlig - der Autor sitzt fest im Regiesessel und möchte sich sein Stück nicht vom Leser und dessen Vorstellungskraft verderben lassen. Die Kinoadaption des Buches dürfte dementsprechend leicht fallen. Kaum mehr mit dramaturgischen Überlegungen läßt sich jedoch die eine oder andere extreme Steigerung dieser Anleihen an das Genre der Herren Hitchcock, Spielberg und Petersen rechtfertigen. So nennt Garber, wohl um den Eindruck der Realitätsnähe des Geschehens noch zu verstärken, an einer Stelle eine Telefonnummer und greift dabei auf die bisher eigentlich nur aus dem Kino bekannte, in der rauhen Wirklichkeit des amerikanischen Telefonnetzes aber nicht existente Vorwahl 555 zurück.

Freunden der ernsthaften Literatur wird ein solches Konzept kaum gefallen. Doch es funktioniert - und das sogar sehr überzeugend. "Der Schacht" ist eines der wenigen Bücher, die tatsächlich von der ersten bis zur letzten Seite zu fesseln wissen - vielleicht gerade wegen der inhaltlichen Reduktion auf die bloße Handlung. Zwar kann zumindest der äußerst aufmerksame Leser durch die Beschränkung auf die Mitteilung wirklich wesentlicher Informationen schon recht bald ahnen, weshalb David Elliot um sein Leben kämpfen muß. Doch auch dann bleibt die Lektüre des "Schacht"es ein fesselndes Lesevergnügen, da es seinen Reiz nur zum Teil aus der verwirrenden Situation zieht, in die sich der isolierte Held des Buches wie aus heiterem Himmel versetzt sieht. Den Großteil der Spannung verdankt das Buch dem actiongeladenen Kampf zwischen dem ehemaligen Elitesoldaten Elliot und seinen ebenbürtigen Gegnern, der klaustrophobisch-paranoiden Atmosphäre des Ortes der Handlung und dem geschickten Spiel des Autors mit den Erwartungen und Hoffnungen des Protagonisten und damit letztlich auch des Lesers. Das ganze wirkt dabei, trotz des bei Lichte betrachtet doch reichlich unwahrscheinlichen Plots, erstaunlich wirklichtsnah, was zum einen daran liegen mag, daß Garber sich der Methode erfolgreicher Kollegen wie des Splatter-Schriftstellers Stephen King bedient und, statt einfache Beschreibungen von Gegenständen zu verwenden, auf dem Leser bekannte und vertraute Markennamen zurückgreift - da ist der "Radiowecker" von "Panasonic", die "Kaffeemaschine" von "Toshiba" und das Auto im Rückspiegel wird zum "BMW". Selbst vor der Instrumentalisierung der hohen Politik schreckt Garber nicht zurück und läßt einen Top-Anwalt einen kleinen Plausch via Telefon mit Bill Clinton abhalten. Daß der Leser dem Autor die Geschichte abnimmmt, daß "Der Schacht" funktioniert, liegt aber zum anderen auch daran, daß Garber sich fleißig aus dem Ideenfundus der seinem Publikum blendend bekannten Welt der Kinoblockbuster bedient. Ein bißchen "Stirb langsam" hier, ein wenig aus der Vielzahl der Vietnam-Filme dort, das ganze fein abgeschmeckt mit einer Prise John Grisham - und fertig ist der in der Tat sehr lecker schmeckende Bestseller. Ja, selbst die zentrale Pointe des Buches, die Lösung des großen Geheimnisses, kennt man bereits von der großen Leinwand aus einem Thriller der jüngeren Kino-Vergangenheit (mehr soll hier zur Wahrung der Spannung nicht verraten werden). Dabei war es scheinbar auch unumgänglich, dem Leser zumindest ein partielles "Happy End" zu bieten und auf diverse altbekannte Klischees zurückzugreifen. Und dabei langt Garber desöfteren kräftig daneben - so zum Beispiel, wenn er eine seiner Figuren einen Schweizer einen "Kraut" schimpfen läßt, oder wenn er von einer "jüdischen Nase" fabuliert, so als hätte die Religionszugehörigkeit Auswirkungen auf das Wachstum der Sinnesorgane. Doch das alles bewegt sich in den Grenzen, in denen man einem "Popcorn-Kino"-Film allemal gerne alles mögliche verzeiht. Und auch im "Schacht" fallen diese gelegentlichen Ausrutscher nicht sonderlich auf. Vielmehr brilliert das Buch mit einer ausgetüftelten Handlung, vielen atemberaubenden Momenten und einer schnellen Abfolge des Geschehens, die die Lektüre niemals langweilig werden läßt. Ganz nebenbei läßt Joseph R. Garber seinen Helden auch noch einem menschlichen Bedürfnis nachgehen, das dessen Kino-Kollegen wie John McLane oder James Bond seltsamerweise niemals zu verspüren scheinen - er schickt ihn skandalöserweise auf die Toilette.

"Der Schacht" ist sicher kein Meilenstein in der Geschichte der Prosa. Aber er ist ein sehr solide, mit viel Geschick und Raffinesse geschriebenes und brilliant komponiertes Buch, das den Leser nicht mehr loslassen wird. Für Kinder ist es aufgrund der zum Teil doch recht detailliert beschriebenen Gewaltszenen allerdings nicht geeignet. Dennoch liegt der Schwerpunkt eindeutig auf dem Suspense-Moment und nicht auf irgendwelchen Blut-und-Gedärme-Effekten. David Elliot, der Protagonist des Buches, hat zudem alles, was ein Action-Held heutzutage aufbieten können muß - körperliche Fitness, hohe Intelligenz, gutes Aussehen und einen ehrlichen Charakter - und erreicht damit, was von jeher das Ziel gelungener Unterhaltung war: dem Unterhaltenen eine klare Identifikationsfigur und die Hoffnung auf den Sieg gemeinhin positiv bewerteter Fähigkeiten und Persönlichkeitsmerkmale über die Widrigkeiten des Schicksals zu geben. Da die Taschenbuchausgabe auch in technischer Hinsicht sehr überzeugend gelungen ist (die Schrift ist schön groß und gut lesbar, das Layout ist äußerst übersichtlich und Rechtschreibfehler die Ausnahme) und lediglich für das doch ziemlich einfallslose Titelbild ein kleiner Minuspunkt in Betracht käme, kann "Der Schacht" jedem Thriller-Freund nur empfohlen werden. Bücher wie dieses erinnern einen daran, wie spannend ein gemütlicher Leseabend sein kann. Heute bleibt das Kino kalt.

(c) by Andreas Neumann

"Sie zog die Stirn in Falten. »Völlig ausgeschlossen. Die Regierung läßt doch keine Steuerzahler umbringen. Das Defizit ist zu groß.«"


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