So viel Werbung war noch nie - zumindest nicht für eine nicht einmal selbstproduzierte TV-Serie. Der Münchner Privatsender SAT1 schürte die Neugier des Publikums schon Monate vor Beginn der Ausstrahlung der US-Serie "Millenium" mit rätselhaften Werbespots. Und je näher die Pantoffelkinopremiere rückte, desto öfter blickte einem das Logo der Serie von Doppelseiten aus verschiedensten Zeitschriften und Magazinen entgegen. Sogar das Refugium der großen Filmkunst, das Kino, wurde von der Propagandaoffensive des Kirch-Senders erobert - vor "Con Air", dem "Fünften Element" und "Men In Black" wurde auf der großen Leinwand die Kunde von der neuen SAT1-Mystery-Serie verbreitet. Insbesondere die Herzen der Millionen "Akte X"-Fans durften höher schlagen - steckte doch "X Files"-Schöpfer Chris Carter als ausführender Produzent quasi gottvatergleich hinter "Millenium". Erstaunlicherweise hielt sich der Erfolg der seit diesem Herbst dann tatsächlich jeden Freitag um Viertel nach Neun ausgestrahlten Serie aber bisher in Grenzen und blieb vor allem weit hinter dem der "Akte X" zurück. War die Werbung also nichts weiter als der Versuch, dem nackten Kaiser neue Kleider anzuziehen ? In den USA sehen es Publikum und Kritik ein wenig anders - dort räumt die Serie Quoten und Preise ab und ist auf dem besten Wege, eine ähnliche Erfolgsgeschichte zu werden wie Carters erster Streich, die UFO-Schmonzetten um die "X-Akten".
Frank Black (Lance Henriksen) war lange Jahre Spezialist des FBI für Serien- und Sexualmörder. Nachdem er ein besonders gefährliches Exemplar dieser Gattung (das seine Opfer wie einst Hannibal Lecter zu verspeisen pflegte) hinter Gitter gebracht hatte, erhielt er plötzlich per Post Fotos von seiner Frau Catherine (Megan Gallagher) und seiner Tochter Jordan (Brittany Tiplady) - was dem üblichen Hors d'oeuvres des gerade hinter Gittern gebrachten Leichenschmausenden entsprach. Zusätzlich belastete Frank eine besondere übernatürliche Gabe, die ihn dazu befähigt (oder auch zwingt), das Tatgeschehen quasi aus den Augen der Beteiligten mitzuerleben. Entsetzt von der Bedrohung für seine Familie und dem Chaos der Gewalt, das sich ihm in seinen Visionen offenbart, quittiert er seinen Dienst und zieht von Washington, D.C., zurück nach Seattle, der gemeinsamen Heimatstadt von ihm und seiner Frau, welche dort als Psychologin in der Opferberatung des Police Department Arbeit findet. Frank hingegen nimmt Kontakt mit einer pseudo-geheimen Organisation namens "Die Millenium Gruppe" auf. In ihr arbeiten ausschließlich Leute mit einem ähnlichen biographischen Hintergrund - also vor allem ehemalige Staatsdiener aus den Reihen von FBI, CIA und Polizei, die über ganz besondere (in der Regel völlig irdische) Fähigkeiten verfügen. Sie stehen den lokalen Polizeibehörden bei der Aufklärung großer Verbrechen beratend zur Seite. Frank wird ihr Mann in Seattle, was sich insoweit gut trifft, als im dortigen Police Department sein alter Freund Lt. Bob Bletcher (Bill Smitrovich) arbeitet. Gemeinsam mit ihm macht sich Frank an die Aufklärung von Ritual- und Serienmorden, sowie anderen ungewöhnlichen und unheimlichen Verbrechen.
Das eigentlich bemerkenswerte an "Millenium" ist die Tatsache, daß Chris Carter erneut auf fast völlig unbekannte Schauspieler gesetzt hat - lediglich Henriksen mag dem einen oder anderen Cineasten durch seine Rolle als Bishop in Ridley Scotts "Alien" noch in Erinnerung sein. Bemerkenswert auch, daß die Produzenten schon in der (hier in Deutschland noch nicht gesendeten) zweiten Staffel eine der vier Hauptfiguren, den biederen Polizisten Bletcher, durch Tod aus der Serie ausscheiden lassen. Sehr gut gelungen ist den "Millenium"-Produzenten schließlich der herrlich morbide mit einem Bibelzitat spielende Werbeslogan "Fürchte Deinen Nächsten wie Dich selbst.". Das war's dann aber auch schon. Der Rest ist ein Genremix aus altbewährtem - Mark Snow durfte wieder eine gruselig-harmlose Melodie komponieren, überirdische Kräfte und schicksalhafte Geschehnisse werden raunend beschworen und durch die Beteuerung der Macht der Technologie (natürlich nicht vollständig) gebannt, der Zuschauer wird in eine Welt versetzt, in der das Individuum sinistren Kräften und einem fremdbestimmten Schicksal ausgesetzt ist. Eine vermeintlich avantgardistische Schnittechnik (manche Szenen werden von einem weißen Bildschirm aus eingefadet) und ein Möchtegern-Untergrund-Design, wie es der Zuschauer z.B. schon im peinlichen Kinofilm "Seven" über sich ergehen lassen mußte, soll die Bedrohlichkeit und Zerrissenheit der Welt am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts symbolisieren. Aus den Untiefen dieses zu Ende gehenden, sich geradezu auflösenden Milleniums kriechen auch die Monster, die der ewig knitterig-verschlafen einherblickende Frank Black als viel geprüfter Ritter des Guten besiegen muß - und doch kommen diese "criminal insane" dem TV-Zuschauer vertraut vor. Dank Kabelfernsehen waren und sind Jeffrey Dahmer, "Hannibal, the Cannibal" und ihre blutrünstigen Freunde Dauergäste in den Wohnstuben der Nation. Chris Carter klaut dabei munter aus dem reichen Fundus an realen und fiktiven Massenmördercharakteristika - wie er sich schon bei "Akte X" schamlos am überreichen Gabentisch der Leichtgläubigen bedient hatte. "Millenium" ist nichts als kalter Kaffee in perfekt produziertem Ambiente - die Schaulust der TV-Voyeuere wird ausgeschlachtet, um durch die Jagd auf menschliche Monster, für die es in den Augen der Protagonisten keine Therapie und keine Strafe außer dem Tod oder dem lebenlangen Ausschluß aus der Gesellschaft gibt, Hoffnung auf Sicherheit für das Ideal des guten, weißen, kleinbürgerlichen Amerika zu wecken, Frank Blacks trautes Heim mit der erheblich jüngeren, ewig betroffen dreinblickenden Catherine und dem hongikuchenpferdgrinsenden gemeinsamen Blag. Das alles wäre noch zu ertragen, wenn es wenigstens spannend gemacht wäre. Doch das ist es leider nicht. Der Zuschauer weiß meist im voraus, wer der Mörder war und was er als nächstes tun wird - und wenn nicht, dann ist zumeist einfach, es zu erraten. Selbst den Serienfiguren wird der Thrill des "Whodunnit" erspart - wo ein Sherlock Holmes, eine Miss Marple und auch ein Quincy noch den logischen Verstand bemühen mußten, schließt Frank Blank kurz die Augen und sieht das Tatgeschehen vor sich. Wie schon bei den "X-Akten", in denen regelmäßig die im Dunkeln herumtappenden FBI-Agenten auch nur dann weiterkommen, wenn sie anonyme Hinweise von irgendwelchen mysteriösen und scheinbar allwissenden Hintermännern bekommen, mutet sich auch die zweiten "Chris Carter"-Serie selbst nicht viel zu und bezieht den Zuschauer in dieses Verdummungsbekenntnis mit ein. Wer das mitmachen will - viel Spaß !