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Zwiegespräch

Ich schicke einige verächtliche Blicke in Richtung Tür. Beschämt wendet sie sich zur Seite, bewegt lautlos die Lippen. Schließlich beginnt sie mit bebender Stimme zu sprechen:

»Warum?«

»Du bist alt und zerbrechlich.«

»Erinnerst Du Dich nicht mehr an all die Tage, die wir zusammen verbrachten? Wie wir gute und schlechte Erlebnisse stets miteinander teilten? Wie wir gegenseitig die Arme schützend übereinander ausbreiteten? Wie willst Du jemals wieder Du selbst sein, mit einem Teil Deiner Erinnerung ausgelöscht?«

»Gar nicht. Ich will nicht mehr.«

»Du hast eine Neue.«

»Sie steht draußen im Flur. Sie darf nicht so lange in der Kälte stehen.«

Ich kann die breite Tür kaum mit den Armen umfassen. Dennoch gelingt es mir, sie ächzend aus den Angeln zu hieven.

»Geschafft.«

»Fühlst Du Dich jetzt besser?«

Ohne geantwortet zu haben, stürze ich in die Küche. Das Wasser kocht. Aus der Dose hole ich exakt eine Prise Teeblätter, fülle sie in den robusten Plastikfilter, den ich vorher in meine gelbe Tasse gehängt habe und gieße das sprudelnde Wasser darüber. Ich stelle den Kurzzeitmesser auf drei Minuten ein und schlendere zurück.

»Ich habe mir Tee gemacht.«

»Seit wann trinkst Du Tee?«

»In letzter Zeit bin ich gewachsen, reifer geworden. Ich habe festgestellt, daß ich mit einer Tasse Tee an Ruhe und Gelassenheit gewinne.«

»Du trinkst Tee, weil Du Dich nicht aufregen willst.«

Aus der Küche höre ich ein schepperndes Rasseln. Ich gehe - nicht zu schnell und nicht zu langsam - und erreiche die Arbeitsplatte nach genau einer Minute. Mit einem Kribbeln im Hals entferne ich den Filter und sauge genüßlich den bitter-süßen Geruch ein, der sich mittlerweile in der ganzen Wohnung verteilt hat. Nach kurzem Überlegen und aus Respekt vor dem Alter entschließe ich mich, nochmals zurückzugehen. Ich gebe einige zischende Laute von mir; die Tasse ist erstaunlich heiß.

»Gestern habe ich sie zum ersten Mal gesehen. Sie hat mir so gut gefallen, daß ich heute gleich wieder hingefahren bin und sie mitgebracht habe.«

»Bitte laß uns in Frieden auseinander gehen.«

Ich nippe behutsam an meinem Tee, muß die Lippen aber sofort wieder zurückziehen.

»Mach's gut.«

Es kostet mich einige Überwindung, bis ich die Tür nehme und sie hinaustrage.
Ich hatte sie gern gehabt. Vielleicht zu gern. Sie war mit der Zeit verfallen und verfault, Holzwürme wohnten in ihr.
Langsam hole ich die neue Tür aus dem Flur. Schweigend. Sie würde mich ohnehin nicht verstehen.

Hannes Diedrich


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