Plattenlabel : | Cloud Nine Records |
Genre : | Jazzrock |
Spieldauer : | 50:33 min |
Preis : | ca. 30 DM |
Es war einmal. Alle Märchen fangen so an - egal ob sie gut oder schlecht enden. Und eins ist die Geschichte von "Bread & Circuses" ohne jeden Zweifel - ein Märchen. Es war einmal, vor nunmehr genau 30 Jahren, eine Band, die nannte sich "Colosseum" und hatte sich zum Ziel gesetzt, auf den besten Ingredenzien von Jazz, Blues und Rock einen eigenen Stil zu kreieren. Das ging drei Jahre lang gut, in denen die (damals) fünf "Colosseum"-Musiker Fans und Kritik mit ihren Alben und Konzerten gleichermaßen begeisterten. Und dann war plötzlich Schluß - die Musiker gingen getrennter Wege und lösten die erste Jazzrock-Formation der Musikgeschichte auf. Nachdem 1975 der Versuch eines ehemaligen "Colosseum"-Mitstreiters u.a. zusammen mit Gitarrenlegende Gary Moore eine Neuauflage, "Colosseum II", auf die Beine zu stellen, kläglich gescheitert war, wurde es erstmal viele Jahre ruhig um die Band. Doch 1994 glückte den inzwischen durchaus etwas betagten Herren eine vielumjubelte "Wiedervereinigungs-Tournee" und so war es nur eine Frage der Zeit, bis Schlagzeuger Jon Hiseman, Sänger Chris Farlowe, Saxophonist Dick Heckstall-Smith, Gitarrist Clem Clempson, Bassist Mark Clarke und Tastenkünstler Dave Greenslade, die "Colosseum"-Formation der Neunziger, sich zur Aufnahme eines neuen Studio-Albums durchringen würden. 1996 war es dann soweit und Mitte 1997 war der neue Langspieler der alten Herren fertig - "Bread & Circuses" sollte dem Publikum geben, was es begehrt.
Mit einem brachialen Gitarrenriff beginnt der Opener der CD - "Watching Your Every Move" entwickelt sich zu einem knackigen Rocksong, der auch im weiteren - bis auf ein hervorragendes Saxophon-Solo - musikalisch von der E-Gitarre dominiert wird und in dem sich Sänger Farlowe als erstklassiger Rock'n'Roll-Shouter präsentieren kann. Das Stück hat mehr Power als die meisten der Wischiwaschi-Songs, die etwa von so mancher BritPop-Band auf MTV und Konsorten in der "Heavy Rotation" gespielt werden, und macht Laune auf die CD, deren Titel im übrigen wie auch beim Erstlingswerk der Band ("Those Who Are About To Die Salute You") ironisch auf den Gruppennamen Bezug nimmt. Und zackig geht es dann auch weiter. Der von Clempson komponierte und von Hiseman betextete Titeltrack kommt mit einem militärischen abgehackten Rhythmus, schneidenden Keyboard-Sequenzen, harten Gitarrenakkorden und vereinzelten Background-Gesängen daher und entpuppt sich als düstere Jazzrock-Hymne, die ohne Vorwarnung direkt in den Hörgang kriecht und sich dort für die nächsten Stunden festbeißt.
"Stay my hand as I reach for the knife
Blood on the sand, bread and circuses my life."
Fast schon dankbar nimmt man nun die erste Ballade des Albums zur Kenntnis. Im wunderschönen (und wie alle guten Lovesongs inhaltlich eher schlichten) "Wherever I Go" streichelt Clempson zart die Saiten seiner E-Gitarre und Dave Greenslade, der das Stück auch komponierte, läßt die Hammond-Orgel so süß tönen, daß man sich streckenweise an Procul Harums "Whiter Shade Of Pale" erinnert fühlt. Dazu schmachtet die Raibeisenstimme Farlowe ins Mikrophon, daß es eine wahre Freude ist. So schön können Schnulzen sein. Doch dann kommt wieder Fahrt in die Arena - beim treibenden Rhythmus von "High Time" dominiert erstmals unverkennbar das Jazz-Element mit zahlreichen instrumentalen Breaks, komplizierten Keyboard-Läufen und Tempo-Wechseln im Spiel der Band. Das Stück selbst ist wohl so etwas wie eine Bestandsaufnahme aus Sicht der Musiker - und zwar eine musikalisch sehr gelungene.
"High hopes, high energy
High expectations how it's gonna be
City to city, town to town
The dues that you're paying when you're layoung it down
High time
Out on the road again"
Jazzig, aber ruhiger geht es nun mit "Big Deal" weiter. Erstmal auf "Bread & Circuses" darf sich Hiseman als brillianter Schlagzeuger profilieren - sanft treibt er den Jazz-Blues voran und schafft so die Grundlage für kurze Soli der anderen Bandmitglieder. Lediglich Heckstall-Smith, der "Big Deal" komponierte, darf für eine längere Zeit die musikalische Führung übernehmen. Alles in allem ist die große Sache keine solche - aber dennoch paßt sie gut in das Album, alleine schon aus dem Grund, um dem vom bisher vorgelegten Tempo erschöpften Hörer eine kurze Atempause zu verschaffen. Wieder flotter wird es nun mit "The Playground". Während Clarke, der hier ausnahmsweise die "Lead Vocals" übernimmt, die ersten Strophen des Songs in eher gehetztem Sprechgesang von gleichfalls unruhiger Musik begleitet darbringen muß, bekommt das von Greenslade geschriebene "The Playground" in der dritten Strophe einen geradezu hymnenhaften Charakter, in dessen Gefolge auch wieder die Hammond-Orgel zum Einsatz kommt, bevor sich das ganze Spiel (und alle drei Strophen) wiederholt.
"Calling time on playtime
Until we see all we have done
Is the only way
For us to run and run"
"No Pleasin'", das nächste Stück der CD, zeigt einmal mehr eine energiegeladene Jazzrock-Formation in Hochform. Alle Elemente, die die "Colosseum"-Musik auszeichnen, vereinigen sich hier zu einem fast perfekten ganzen. Ein flotter, aber nicht eintöniger Rhythmus, Farlowes Rauchstimme, ausgefuchste Gitarrenriffs, -breaks und -läufe, muntere Bläser-Sequenzen, ein dezenter Hintergrundgesang, einige Geschwindigkeitswechsel, die wie kurze Atempausen in einem 400m-Sprint wirken, ein wummernder Baß und ein Keyboard, das über dem Rest der Instrumentierung zu schweben scheint machen das Stück entgegen seinem Namen zu einem wahren Vergnügen. Mit ausgedehnten Saxophon-Tönen beginnt nun das wieder langsamere "I Could Tell You Tales", der erste Titel der CD, bei dem Clempson erkennbar die akustische Gitarre zupft. Dafür tritt - ebenfalls eine Premiere auf diesem Album - Mark Clarkes Baß stärker in den Vordergrund. Wie alle ruhigeren Stück auf "Bread & Circuses" ermöglicht auch das nostalgisch-traurige "I Could Tell You Tales" schließlich so manches hörenswerte Kurz-Solo der fünf routinierten Musiker. Fast in die Sechziger zurückversetzt fühlt man sich mit dem sich nun anschließenden "Storms Behind The Breeze". Ein gebremster Rhythmus irgendwo zwischen Jazz und Blues, Greenslades brilliant töndende Hammond-Orgel und Clempsons abgeklärtes E-Gitarrenspiel erinnern an die besseren Versuche der Beat- und Rockmusik, erwachsen zu werden. Eine brilliante musikalische Zeitreise, die dennoch zu keiner Zeit vergangenheitsfixiert wirkt und weit mehr ist als nur eine Zitatensammlung aus einer fast vergessenen Ära.
"I'm sure we'll meet up some day
We can look back on good times
Of golden days past
Those memories will last."
Der nächste Titel, "The One That Got Away", ist schließlich das einzige rein instrumentale Stück der CD - und es ist ein frecher Knüller. Voller Spielfreude liefern sich die "Colosseum"-Musiker hier zu einem von Greenslades Tastenspiel vorgegebenem schnellen Rhythmus so manches musikalische Duell und treiben sich so zu immer neuen spielerischen Höhen. Das ganze wirkt ein wenig wie eine zufällig auf CD gebannte Improvisation - und dürfte genau deshalb eines der ausgeklügeltsten Stücke des Albums sein. Wieder bedächtiger beginnt dann "The Other Side Of The Sky", das letzte Stück der CD. Und wie es sich zum Abschluß einer musikalisch so gelungenen Produktion gehört, darf es ruhig etwas hymnenhaft werden. Zu Farlowes dramatisch gestrecktem Gesang greift die Band hier nochmal in die vollen - Saxophon und E-Gitarre ertönen im Duett, Greenslades Keyboards weben einen dichten Klangteppich und Hiseman sorgt für die Struktur im Rhythmus dieses würdigen Auszugs aus dem neu errichteten Kolosseum.
Äußerlich wirkt das Werk der reifen Musiker frisch und modern, ohne dabei den Charakter der Band zu verleugnen. Das beginnt mit der aufwendigen Verpackung in einem gesondertem Karton, geht über das Cover, in dessen Emblem - stilisierten Musiker-Figuren, die auf dem dreidimensional abgebildeten Namen der CD stehen - sich Tradition und Moderne sogar bildlich treffen, und endet beim Booklet, das neben einem Vorwort von Jon Hisemann auch sämtliche Songtexte (allerdings nicht ganz rechtschreibfehlerfrei), sowie je ein großes Photo von jedem der Bandmitglieder enthält. Daß die sechs Jazzrock-Recken noch lange nicht zum alten Eisen gehören, hört man am professionellen Spiel, das Routine mit ungebremster Spielfreude zu verbinden scheint, und in tadelloser Klangqualität von der CD ertönt. Sicherlich bringt das neue "Colosseum"-Album keinen allzu hohen künstlerischen Anspruch mit sich. Es ist aber allemal eine gelungene, zweifelsohne auch leicht nostalgische Kombination aus vielen der besten Elemente der beiden Welten des Rock und des Jazz - und das sollte doch für einen gelungenen Abend mit schöner Musik wohl reichen. Und um einem Märchen ein Happy-End zu verschaffen.
"Duas tantum res anxius optat; panem et circenses." -- Juvenal