Plattenlabel : | Solid Rock Music |
Genre : | Progressiv-Rock |
Spieldauer : | 102:43 min |
Preis : | ca. 40 DM |
Progressiv-Rockbands scheinen die Katastrophen zu brauchen - wie die erst vor wenigen Jahren gegründeten "Arena" stand auch die bereits seit mehr als ein Jahrzehnt existierende Formation "IQ" schon des öfteren vor dem Ende. Doch sowohl der Weggang des ehemaligen Frontmannes Peter Nicholls, als auch das Ausscheiden seines Nachfolgers Paul Menel, der - Ironie des Schicksals - daraufhin von seinem Vorgänger ersetzt wurde, konnten die sowohl wegen ihrer Studio-Alben als auch ihrer Live-Qualitäten unter Kennern guter Progressiv-Rockmusik sehr geschätzten Musiker beirren. Nach dem Comeback-Album "Ever" aus dem Jahr 1993 nahmen sich "IQ" eine kleine kreative Pause. Erst 1995 begann man wieder ernsthaft mit Arbeiten an einem neuen Album, welches dann zwei Jahre später, im Sommer 1997 endlich fertiggestellt und im September des Jahres mit zwei großen Konzerten der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Mit "Subterranea" lieferten "IQ" ein lupenreines Konzept-Album ab, das mit seinen über anderthalb Stunden Musik nur auf einer Doppel-CD Platz finden konnte. Nun ist das ja mit Konzept-Alben so eine Sache - damit sie nicht langweilig werden, muß es den Künstlern gelingen, für Abwechslung zu sorgen, ohne die selbstgeschaffene Eingrenzung durch das Konzept zu sprengen. Haben "IQ" auch diese Herausforderung gemeistert ?
Wie eine richtige Oper beginnt "Subterranea" mit einer "Overture" - als kleinen Gag erzeugen IQ" dabei zunächst sogar Töne, die an das Stimmen klassischer Instrumente erinnern. Doch dann geht es mit bombastischem Sound in die vollen - in viereinhalb Minuten reiner Instrumentalmusik werden, ebenfalls wie bei einer Ouvertüre, die wichtigsten Themen des Werkes vorweggenommen und vorgestellt. Sanfte Pianotöne leiten über zum Kurzstück "Provider", bei dem nun auch Nicholls erstmals auf dieser CD singen darf - langgezogen, sanft und mit ein wenig Pathos in der Stimme. Doch die märchenhafte Atmosphäre wandelt sich nun in einen treibenden Rhythmus - der Titeltrack "Subterranea" ist Power-Rock vom feinsten, mit allem, was so dazugehört: schnell und virtuos geschlagene Drums, kurze Gitarrenbreaks, dramatische Singstimme, wummernde Baßläufe, ein hymnenhafter Refrain und immer wieder einfallende Keyboard-Sequenzen packen den Hörer und reißen ihn mit. Daß dabei retardierende Phasen nicht vergessen werden, versteht sich von selbst. Ein Saxophonsolo von Gastmusiker Tony Wright beendet diesen ersten fulminaten Song des Albums, der nahtlos in das komplizierter gestricke "Sleepless Incidental" übergeht. Das beginnt zwar langsam und mit weitgehend auf die Begleitung durch Mike Holmes akustische Gitarre beschränkter Instrumentierung, entwickelt sich dann nach etwa einer Minute aber zu einem weiteren brillianten Progressiv-Rocksong, bei dem insbesondere das ausgefeilte Schlagzeugspiel von "IQ"-Gründungsmitglied Paul Cook zu gefallen weiß. Röhrende Gitarrenriffs eröffnen nun nach einem eher ruhigen Übergang "Failsafe" - ein fast neun Minuten langes Stück, bei dem Peter Nicholls Stimme teilweise so verfremdet und mit Echos unterlegt wird, daß Erinnerungen an das "The Lamb Lies Down On Broadway"-Doppelalbum, mit dem Peter Gabriel in den Siebzigern quasi seinen Ausstand bei "Genesis" feierte, wach werden. Doch "IQ" sind auch bei "Failsafe", das sich inhaltlich ähnlich wie "Lamb" auch um spirituellen Themen dreht, melodiebewußter als es die erste große Progressiv-Rockband anno dazumals war, so daß das Stück nicht zu einer in diesem Genre allzu oft abgelieferten billigen "Genesis"-Kopie wird. Besonders gelungen ist der eindringliche Mittelpart, bei dem Nicholls sich auf eine Art Sprechgesang zu Martin Orfords präzisem Keyboard-Spiel beschränkt. Es folgt mit "Speak My Name" eine wunderschöne Ballade, die vor allem aus Nicholls sanftem Gesang und schmeichelnden Klängen aus Orfords Synthesizern besteht. Wieder druckvoll und zornig geht es dann jedoch mit "Tunnel Vision" weiter - und Nicholls verwandelt sich einmal mehr in einen erstklassigen Shouter, der schon im nächsten Moment sanft wie Lämmchen ins Mikrophon singen kann. Erneut hetzen "IQ" den Zuhörer durch eine komplizierte Struktur mit zahlreichen Tempo- und Stimmungswechseln, sowie ausgedehnten Instrumentalteilen - anstrengend, aber faszinierend. Richtig dramatisch wird es dann im sich übergangslos anschließenden "Infernal Chorus", bei dem Nicholls pathetisch überhöhter Gesang von monotonen Gitarrenriffs und Schlagzeugwirbeln untermalt wird. Mit einem an klassische Streicherakkorde erinnernden Synthesizerintro beginnt daraufhin das nur knapp zwei Minute kurze "King Of Fools", das vor allem von den einfallsreichen Soundeffekten (Donnerhall, Lachen, etc.), die in den ruhigen Melodiefluß eingewoben sind, lebt. Ebenfalls wie mit einem Orchester instrumentiert klingt der Anfang des zehnten Stückes auf der ersten CD. Dabei begnügen sich "IQ" bei "The Sense In Sanity" nicht nur mit (synthetisch geschaffenen) Streichern, sondern bemühen auch ein künstliches Xylophon, um einen sanften Klangteppich für Peter Nicholls entspannten Gesang zu schaffen. Die erste §Subterranea"-Silberscheibe endet schließlich mit einem weiteren Instrumental - in "State Of Mine" werden erneut die verschiedenen musikalischen Themen des Albums wiederholt und variiert.
"I am your murdering Angel of Death
I will despise you until your last breath
When I cut into you, will you not bleed?
Decidedly you will provide what I need"
"Laid Low" nimmt diese Motive unmittelbar wieder auf und schafft so eine durchgehende Verbindung zwischen beiden CDs, die vor allem Besitzer von CD-Wechslern zu würdigen wissen werden. Kraftvoll geht es dann mit einem der Stücke weiter, die schon früh geschrieben waren und daher die Keimzellen des Albums bildeten. "Breathtaker" ist eine klanggewaltige Progressiv-Rockhymne, bei der es die Band wieder so richtig krachen läßt. Aber natürlich fehlen auch hier die ruhigeren Passagen nicht - lediglich John Jowitt darf seine Baßgitarre kontinuierlich malträtieren und so den treibenden Grundrhythmus des Songs schaffen. Wieder sanfter präsentiert sich nun "Capricorn", bei dem vor allem das Schlagzeug (zugunsten ruhiger Gitarrenakkorde) zunächst in den Hintergrund tritt. Außerdem gibt es hier zur Abwechslung mal wieder Tony Wright am Saxophon - wenngleich auch nicht ganz so furios wie im Titeltrack - und ein ausgiebiges E-Gitarren-Solo von Mike Holmes zu hören. Nach einem weiteren Instrumental ("The Other Side") folgt nun das entgegen seinem Titel und Inhalt etwas heller und lebensfroher klingende "Unsolid Ground". Immer wieder kurz eingestreute Baßakkorde und stetig wiederholte Gitarrenriffs sorgen für die erforderliche Songstruktur, während sich Nicholls Stimme in bisher ungeahnte Höhen schrauben darf. Sanfte Klänge aus der akustischen Gitarre eröffnen jetzt das 7-Minuten-Stück "Somewhere In Time". Doch nach etwa zwei Minuten wird die Zurückhaltung aufgegeben und im Anschluß an einen sich steigernden Keyboard-Lauf legt die Band einmal mehr so richtig los - erneut ist es Jowitts Baß, der dem ganzen Struktur und Ordnung verleiht, während Schlagzeug, Gitarre, Keyboard und Nicholls Gesang Tempo machen. Bemerkenswert ist im weiteren Verlauf des Songs vor allem eine Passage, in der sich die Instrumentalbegleitung auf militärisch knappe Trommelwirbel und eine synthetische Violine beschränkt, und die so in reizvollem Kontrast zu den anschließenden harten Gitarrenriffs steht. Übergangslos schließt sich "High Waters" an. Warum es sich hierbei um einen gesonderten Track handelt, wird nicht ganz klar, da sowohl die musikalische Struktur als auch Tempo und Instrumentierung weitgehend mit der des Vorgängertitels übereinstimmen. Doch all das war nur der Auftakt für den Höhepunkt der zweiten CD - das exakt zwanzig Minuten dauernde "The Narrow Margin", dessen Eröffnungspart als Arbeitstitel "Clank Tingy Tingy" hieß, da die synthetischen Geräusche, mit denen er beginnt, so ähnlich klingen. Das Stück selbst ist eine Art Quintessenz des gesamten Albums - zahlreiche leise und ruhige Passagen wechseln sich mit hochdramatischen und treibenden Momenten ab, wobei die Spannung über die vollen zwanzig Minuten gehalten wird. "The Narrow Margin" endet schließlich mit der Songzeile "Provider, are you inside or am I?", einer Variation des ersten gesungenen Textes im Stück "Provider", mit der "IQ" den Bogen spannen und das Album geschickt da enden lassen, wo es angefangen hat.
"No longer God's Apollo, no more Mercury
Down among the unbelievers
Fuck the wild and wasted, look at me
Got pills to sleep, got pills to get awake
Eternally I pray no-one my breath will take"
"Subterranea" ist die komplizierte Geschichte eines Mann, der im Rahmen eines Experimentes vom Rest der Gesellschaft getrennt und nur über einen "Versorger" mit der Welt verbunden war. Nach Beendigung des Experimentes muß er sich mühsam in das für ihn ungewohnte Alltagsleben integrieren, wird von religiösen Sektierern angeworben, verliebt sich in ein Mädchen und verliert sie wieder. Dabei stellt er fest, daß er von Handlangern desjenigen, der mit ihm das Experiment durchführte, verfolgt wird. Er stellt und tötet sie, erfährt aber vorher den Namen seines Peinigers - Mockenrue. Diesen aufzuspüren, um Rache zu nehmen, wird nun sein primäres Ziel. Dabei muß er feststellen, daß sein neues Leben in Freiheit weitaus komplizierter ist als das kontrollierte in Gefangenschaft. Er entdeckt, daß er nicht das einzige Opfer von Mockenrues Experiment ist. Gemeinsam mit seinen Leidensgenossen sinnt er auf Rache. Die Aktion scheitert jedoch und sie sehen sich am Ende in einem großen Gebäude gefangen, das von Mockenrue in Flammen gesetzt wird. Bis auf den Protagonisten sterben alle - er erkennt, daß er in Freiheit eine Bedrohung für sich und andere ist, und beschließt, zurück in die Isolation zu gehen. Die Story läßt - wie die meisten guten Geschichten - viel Spielraum zur Interpretation (Ist es die Geschichte vom vergeblichen Versuch des Menschen, sich aus selbstverschuldeten Abhängigkeiten zu befreien ? Die Emanzipation des Kindes von seinen Eltern ? Eine Parabel auf das Leben an sich ?) und ist doch auch für sich genommen allemal ein kleveres Stück Science-Fiction-Unterhaltung. Dafür, daß sich diese auch in der CD niederschlägt, sorgt der von Peter Nicholls geschriebene Text, der viele einfallsreiche Wortspiele, assoziativ wirkende Metaphern und und einprägsame Zitate bereithält. Über die Musik braucht man nicht mehr viele Worte zu verlieren - "Subterranea" ist eines der ausgefeiltesten, gelungensten und hörenswertesten Konzeptalben des letzten Jahrzehntes, auch wenn es nicht ganz die Vielfalt und Dichte des "Marillion"-Meisterwerkes "Brave" erreicht. Alle fünf "IQ"-Musiker sind versierte Könner ihres Fachs und machen "Subterranea" zu einem wahren Hörerlebnis.
Das Cover der CD zeigt - eingerahmt vom Namen der Band und des Albums und in gedeckten Lila-Tönen gehalten - so etwas wie einen Eingang in eine unterirdische Höhlenlandschaft. Das von Tony Lythgoe entworfene Bild erstreckt sich bis auf die Rückseite des Booklets, auf der sich zudem noch ein obskures Emblem befindet, welches ein bißchen wie ein umgekippter Lautsprecher aussieht, sich nach mehrmaligem Hinsehen aber als stilisiertes "IQ"-Logo darstellt. Dieses Zeichen taucht auch innerhalb des Booklets immer wieder auf - als klever montierter oder realer Bestandteil eines der zahlreichen, oftmals surreal verfremdeten Photos. Diese dienen gleichzeitig zur Illustration der Songtexte, die vollständig und erfreulich lesefreundlich abgedruckt wurden. Auch von der rein formalen Seite ist "Subterranea" also rundum gelungen. Das Album kann jedem nur wärmstens ans Herz gelegt werden und man darf sich zu Recht auf das nächste Studio-Album, das für 1999 angekündigt ist, und die kurze "IQ"-Tournee im April diesen Jahres (am 5. in der Manufaktur in Schorndorf, am 6. in der Zeche in Bochum und am 7. im MTW in Offenbach) freuen. Außerdem gibt das Album zu einer kurzen Bilanz des vergangenen Jahres aus Sicht der progressiven Rockmusik Anlaß. Erst "Marillion"s "Strange Engine", dann die "Sunsets On Empire" von "Fish" und das brilliante "Arena"-Live-Album "Welcome To The Stage" und nun "Subterranea": 1997 war ein wirklich hervorragendes Jahr für Freunde anspruchsvollen Progressiv-Rocks - wahrlich überirdisch.
"Can I hold on? I cannot count them
All the things you are
Were I stronger I'd hold out longer in Subterranea"