Plattenlabel | : | Verglas Music | Genre | : | Progressivrock |
Spieldauer | : | 61:43 min | Preis | : | ca. 30 DM |
Angriff ist die beste Verteidigung. Das mag sich auch die britische Progressivrock-Band "Arena" gedacht haben, als es daran ging, ein drittes "richtiges" Studio-Album aufzunehmen (nachdem man mit "The Cry" und "Welcome To The Stage" zuletzt nur ein Mini- und ein Live-Album produziert hatte). Sowohl das Banddebut "Songs From The Lions Cage" als auch der Nachfolger "Pride" waren stets dem Vorwurf ausgesetzt, nichts weiter als ein Konglomerat alter Ideen zu sein. Was lag da näher, als nicht nur ausladende Songstrukturen, dramatische Arrangements und phantastische Texte zu zelebrieren, sondern sich gleich eines Stilelements zu bedienen, das sich in den Siebzigern unter Progressivrock-Bands großer Beliebtheit erfreute und heute weitgehend als Manifestation des erstarrten Artrocks verachtet wird. Und so schuf die Gruppe um Multitalent Clive Nolan und den ehemaligen "Marillion"-Schlagzeuger Mick Pointer mit "The Visitor" ein Konzeptalbum, also ein Album, dessen Songs sich um ein gemeinsames Thema ranken und in gegenseitiger Bezugnahme eine einzige Geschichte erzählen. Wem das Prinzip bekannt vorkommt - es entstammt der E-Musik. Und da auch Opern nicht im Takt der HipHop- und MTV-Generation erklingen, nimmt es nicht wunder, dass Konzeptalben in den neunziger Jahren weder beim Publikum noch bei der Kritik sonderlich beliebt sind. Führt die Rückkehr in die Vergangenheit "Arena" also tatsächlich zur musikalischen Weiterentwicklung ? Oder begeben sich die fünf britischen Musiker damit auf einen Irrweg der populären Musik ?
"A Crack In The Ice" beginnt langsam, verdächtig langsam. Nur zögernd setzt ein wummernder Basslauf ein - der entfernt an das Geräusch eines schlagenden Herzens erinnert. Dann stimmen Clive Nolans Keyboards ein und Sekunden später steigt schließlich die gesamte Band ein und schafft so einen fulminanten Auftakt, der es von der Energie her mühelos mit den Openern der beiden ersten "Arena"-Alben aufnehmen kann. Dabei ist "A Crack In The Ice" vielschichtiger und komplexer als seine Vorgänger - neben gelegentlichen Wechseln zwischen langsameren melodischen Parts, die auf der akustischen Gitarre begleitet werden, und kraftvollen, von John Mitchells E-Gitarre und dem unnachgiebig dröhnenden Bass von John Jowitt angetriebenen Passagen erklingt auch ein etwa eine Minute langer Instrumentalteil, der an die klassisch angehauchten Intermezzos der Vorgängeralben erinnert, die schließlich in "The Cry" zusammengefaßt wurden. Gleichzeitig gibt der Text des Stückes das Thema des Albums vor - ein Mensch blickt im Angesicht des Todes auf sein Leben zurück und läßt seine Vergangenheit Revue passieren. Diese Situation wird im übergangslos angeschlossenen "Pins And Needles" wieder aufgegriffen. Der Sterbende liegt regungslos da, kann sich nicht bewegen, aber diese Erde auch noch nicht verlassen. Dazu ertönt eine eingängige, sanfte Melodie, die von Nolans Tastenspiel dominiert wird und zu der Paul Wrightsons pointierter Gesang einmal mehr Erinnerungen an "Genesis"-Frontmann Peter Gabriel und "Marillion"-Leadsänger Fish weckt.
"Don`t walk towards the light
Still got these pins and needles
Turn back and hold the night
I`m not ready to be taken yet"
Erneut ohne Pause geht "Pins And Needles" in "Double Vision" über - und das Album gewinnt wieder an Fahrt. Nach einem brillianten einminütigen Gitarrensolo von John Mitchell untermalen hypnotisch-monotone Keyboardsequenzen den von Wrightson dargebrachten Text. Und in diesem taucht erstmals die Zeile "I will always find you" auf - eingeworfen wie eine Verheißung. Oder eine Drohung. Und dann - herrscht Ruhe. Zwischen "Double Vision" und "Elea", einem kurzen instrumentalen Zwischenspiel, das erneut an die "Crying For Help"-Serie erinnert und in dem akustische und elektronische Gitarre ein reizvolles Zwiegespräch führen, findet sich die erste wirkliche Pause des Albums. Erneut übergangslos schließt sich dann einer der musikalischen Eckpfeiler der CD an. "The Hanging Tree" ist eine gefühlvolle, melodiöse Ballade, bei der Wrightsons Gesang über weite Strecken nur von einer akustischen Gitarre begleitet und einem Hintergrundchor unterstützt wird. Erst nach etwa drei Minuten wird der Klangteppich wieder dichter, ohne dass dabei die gespannte Dramatik des Auftakts verloren ginge. Doch wenn man sich gerade so richtig an die vermeintliche Sicherheit und das verminderte Tempo gewöhnt hat, stellen "Arena" mit "A State Of Grace" unter Beweis, warum sie sich zu Recht einen Ruf als hervorragende Liveband erarbeitet haben. Mitchells harte Gitarren-Riffs treiben das Stück voran, Wrightsons Gesang klingt schon beinahe aggressiv und Mick Pointer darf endlich sein Schlagzeug wieder malträtieren. Dau erklingen seltsam fiepende Geräusche aus Nolans Synthesizer - als hätte "Kraftwerk" ein "van Halen"-Konzert besucht. Mit "A State Of Grace" führen "Arena" die Reihe brillianter Power-Songs fort, die sie mit "Out Of The Wilderness", "Welcome To The Cage", "Fools Gold" und "The Healer" begonnen hatten.
"Donīt look for comfort in this house of mine
Donīt ask for mercy at this image of my shrine
Donīt seek forgiveness at this house of mine
Donīt build a temple here and wait for me to walk into the fire."
"Blood Red Room" gibt dem erschöpften Hörer dann wieder ausreichend Zeit zum Luftholen. Zu ausuferenden Keyboardläufen und einfallsreichen Samples aus Nolans elektronischer Zauberkiste ertönt nur ganz zart ein fast schon gesprochener Text - der erneut mit den Worten "I will always find you" endet. Der Besucher nähert sich. Munterer wird es dan wieder mit "In The Blink Of An Eye". Das Stück erinnert stilistisch stark an "The Healer" vom Minialbum "The Cry". Eine eingängige Melodie, ein kraftvoller Rhythmus und genug Gelegenheit für die einzelnen Musiker, ihr Können vorzuführen, zeichnen den Song aus. Dennoch wirkt er, ebenfalls wie "The Healer", nicht in letzter Konsequenz überzeugend - vielleicht weil er es zu vielen recht machen will. In Erinnerung bleiben somit vor allem Nolans geradezu teuflisch flinke Keyboard-Untermalung und ein hymnenhafter Refrain. Im Kontrast zu dem weitgehend hellen "In The Blink Of An Eye" folgt nun das düsterste Stück des Albums. "(Donīt Forget To) Breathe" basiert auf einem verzerrten Gitarrenakkord und elektronisch verfremdetem Schlagzeug. Und selbst Paul Wrightsons Gesang erklingt zunächst nur tricktechnisch verändert - so dass die unwirkliche Atmosphäre verdichtet wird. Und auch der Text passt sich in die düstere Stimmung ein - der Protagonist steht kurz vor der Schwelle des Todes.
"You saw ! You saw !
A figure in the fog with razor claws
You saw ! You saw !
A devil in the dark, we`ve met before"
Mit "Serenity" erklingt nun wieder einmal ein rein instrumentales Stück, das diesmal seinen Schwerpunkt auf einem E-Gitarren-Solo hat. Dabei klingt Mitchells Spiel so verblüffend nach "Pink Floyd"-Gitarrist Gilmour, dass man sich in "Wish You Were Here" oder "The Division Bell" versetzt fühlt. Süßliche Pianoklänge und sanfte Bassläufe sorgen dann für die Untermalung der Ballade "Tears In The Rain". Etwa in der Mitte erreicht das Stück schließlich seinen dramaturgischen Höhepunkt, bei dem John Mitchell einmal mehr (diesmal aber passend zum Thema des Songs) seine E-Gitarre zum Heulen bringen darf. Zum Ende hin schließt sich dann der Kreis - nach einem kurzen und ruhigen Keyboard-Solo endet das Stück in einem Sumpf verschiedener Synthesizerklänge. Aus diesem erhebt sich nun übergangslos "Enemy Without". Nach einem beinahe a capella dargebotenen Auftakt gewinnt der drittletzte Track der CD, angetrieben von Pointers Schlagzeug und Mitchells Gitarre, rasch an Geschwindigkeit und entwickelt sich zu enem typischen "Arena"-Stück voller Kraft und Pathos. Seinen Höhepunkt erreicht es jedoch erst im - formal getrennten - "Running From Damascus", in dem sich das Tempo geradezu irrwitzig zuspitzt und die Spannung schließlich in einer einzigen hymnenhaften Strophe aufgelöst wird - der "Visitor" schüttelt den Protagonisten, erweckt ihn zum Leben, fordert ihn auf, seine Augen zu öffnen. Und erschöpft tut er es schließlich. Oder auch nicht. Denn im anschließenden Titeltrack, in dem die einzelnen Stationen des Albums noch einmal aufgegriffen werden und der auch musikalisch kräftig vom Material der vorangegangenen dreizehn Stücke (insbesondere von "The Hanging Tree") zehrt, fällt zwar der Vorhang. Wie es sich für ein Konzeptalbum mit unverhohlenem künstlerischen Anspruch gehört bleiben letztlich alle Fragen aber offen. Und musikalisch spricht eigentlich mehr gegen ein glückliches Ende. Denn zu guter Letzt erklingt wieder das herzähnlich wummernde Geräusch. Doch diesmal löst es sich in einen anhalten Pfeifton auf - Exitus.
"Did it really make a difference ?
Was there strength enough to set me free ?
Am I even sure I'm living now ?
Or is this just some kind of dream ?"
Eines der Rätsel, mit denen "The Visitor" verknüpft ist, wird die Gestaltung der CD bleiben. Das völlig unpassende Giftgrün könnte vielleicht gewählt worden sein, damit man die CD solange wie möglich in der Stereoanlage beläßt, um diesem grellen Farbton nicht ausgesetzt zu sein. Glücklicherweise haben "Arena" ansonsten mehr Geschmack bewiesen. Deutlich mehr. Denn das Booklet der CD ist das beste, das je einer "Arena"-CD beilag. Und das will durchaus etwas heißen. Dabei versteht es sich bei der Band von selbst, dass sämtliche Songtexte gut lesbar auf den zwanzig Seiten abgedruckt wurden. Doch diesmal hat man sich nicht mit einem guten Cover begnügt. Das einzige gestalterische Element, das von den "Songs From The Lions Cage" und "Pride" übernommen wurde, ist der leicht verhuschte Zeichensatz. Ansonsten hat man sich ein völlig neues Outfit gegönnt. Verantwortlich dafür zeichnet Hugh Syme, der u.a. schon für "Rush" tätig war. Er hat dem Booklet neben unaufdringlichen Texturen auch zahlreiche brilliant inszenierte, detailreiche und computertechnisch nachbearbeitete Photographien spendiert, die atmosphärisch abgestimmt den einzelnen Stücken zugeordnet sind. Doch damit nicht genug. Unter der CD befindet sich eine leicht vergilbte Schwarz-Weiss-Photographie, auf der ein Junge einen Bocksprung über den Stein eines Grabes macht, auf dessen Platte das Wort "Visitor" zu lesen ist. Und auch das Cover zeugt von der kreativen Frechheit Symes. Es besteht ausschließlich aus einer Photographie, die den befrackten Führer eines Hochrades zeigt. Weder der Name der Band noch des Album stören die stimmungsvolle Komposition.
Und auch musikalisch hat sich einiges getan - insbesondere sind die Arrangements zielstrebiger, die Kompositionen kompakter geworden. Dadurch fehlen natürlich leider solche Meisterwerke wie das weit über zehn Minuten lange "Solomon" und man bekommt den Eindruck, die Band orientiere sich bewußt etwas näher zum Mainstream hin, stimme öfter sanfte Töne an als früher. Glücklicherweise hat darunter aber die musikalische Brillianz im ganzen nicht gelitten. Zwar lassen sich die einzelnen Stücke - vielleicht mit Ausnahme von "Running From Damascus" - klar unterscheiden, so dass "The Visitor" kein gigantischer 60-Minuten-Song ist. Doch "Arena" haben sich erlaubt, die einzelnen Kompositionen aufeinander zu beziehen und ihnen jeweils die notwendige Komplexität und Tiefe zuzugestehen. Das Mittel des Konzeptalbums erweist sich hier als Glücksgriff, mit dem es "Arena" gelang, sowohl den Erwartungen der Fans als auch den Anforderungen des 4-Minuten-Radiosongs Rechnung zu tragen. Die sich auf "The Cry" abzeichnende Demokratisierung des Songwritings innerhalb der Band hat sich mit "The Visitor" weiter fortgesetzt, was vielleicht auch ein Grund für den stilistischen Wandel ist. Nicht mehr nur Clive Nolan und Mick Pointer schrieben das Material zum neuen Album. Auch John Jowitt, der erst jüngst mit seiner anderen Band "IQ" die brilliante CD "Subterranea" ablieferte (vgl. Rezension in "AmigaGadget"#34) und John Mitchell durften an der Musik mitarbeiten. Für den gelungenen Text zeichnete jedoch Clive Nolan, der diesmal auf die bei den vorherigen "Arena"-Alben üblichen Motive aus der Welt der Sagen und Mythen verzichtete, alleine verantwortlich. Insgesamt ist den fünf "Arena"-Gladiatoren damit ein Album geglückt, das sich schon jetzt zu den erfreulicheren Neuerscheinungen des Jahres zählen darf. Mit "The Visitor" hat die Band sich weiterenwickelt und neue Stilelemente aufgegriffen, ohne dabei ihre bisherige Arbeit zu verleugnen oder zu verraten. Natürlich sind Anleihen bei "Pink Floyd", "Genesis" und "Marillion" nicht zu überhören. Aber diese werden intelligent in etwas neues eingearbeitet und weiterentwickelt. Der Weg in die Vergangenheit des Progressivrock führt für "Arena" direkt in die Zukunft.
"I will make this promise now
A simple thing, a sacred vow
Come with me my pretty Angel
I will show you how to fly
We will fall together
Into unforgiving night we plunge !
Chained by sin and lothed by guilt
We will be as one forever"