politik

HANS-JOACHIM STENGERT * Ehrenmalstr. 15 * 47447 Moers * 18-01-98

Die Dienstleistungs-Gesellschaft

Darüber muß einmal gesprochen werden. Natürlich wird andauernd darüber gesprochen, aber falsch, wie ich finde. Besonders gefährlich scheint mir, immer zu wiederholen, dass wir uns auf dem Wege zu einer Dienstleistungs-Gesellschaft befänden und dass das notwendig und auch gut sei. Ob das stimmen kann, wird einem am besten klar, wenn man sich überlegt, was denn eine solche "D-G" eigentlich ist.

Normalerweise besteht eine Volkswirtschaft - also auch die deutsche - aus der Produktion von Gütern, deren Verteilung bis zum Verbraucher und dem dazugehörigen Zahlungssystem. Güter werden gewonnen (z.B. Bergbau), der Natur entnommen (Landwirtschaft) und auf vielfältige Weise erzeugt (z.B. Stahl oder Kunststoffe). Bis sie beim Endverbraucher angekommen sind und in irgendeiner Form "konsumiert" werden können, müssen die meisten noch weiterverarbeitet, gelagert und vielfach transportiert werden. Zu all dem gehört noch Energie in verschiedensten Formen (z.B. Strom) und, wie schon erwähnt, das Geld.

Vieles von diesen zahllosen, zum Teil sehr komplizierten und miteinander verflochtenen Vorgängen läßt sich zunächst relativ einfach einteilen in die beiden Kategorien "Dienstleistung" oder "Nicht-Dienstleistung". Zum Beispiel die Eisenherstellung im Hochofen ist keine, sondern eine Produktion, aber der Briefträger ist eine typische Dienstleistung. Soweit, so gut. Aber je mehr man in die Einzelheiten geht, um so schwieriger wird es, einen klaren Trennungsstrich zu ziehen.

Beispiel aus der Stahlherstellung: Das Eisen kommt vom Hochofen in einer großen Pfanne zum Stahlwerk. Die paar hundert Meter zieht es eine Lokomotive, aber das wird man wohl kaum eine Dienstleistung nennen. Es gibt aber auch Fälle, wo das Stahlwerk weit entfernt ist und der Transportweg 50 oder 100 km beträgt. Das macht dann nicht die Werksbahn, sondern die Bundesbahn, und dann ist es ziemlich sicher eine Dienstleistung. Oder - wie wir Juristen sagen - es kommt drauf an.

Nun versuchen wir uns mal eine reine D-G vorzustellen. Sagen wir mal ein Wüstenland, wo die Menschen nur vom Teppich-Handel leben. Die Händler sitzen vor einer kleinen Lagerhalle in der Sonne und trinken Tee. Dann kommen irgendwelche Nomaden vorbei und verkaufen ihnen selbstgeknüpfte Teppiche. Diese landen in der Halle, bis andere Kameltreiber vorbeikommen, an die dann die Teppiche mit Gewinn weiterverkauft werden. - Davon kann man leben, vorausgesetzt, der Gewinn reicht dazu, sich das Lebensnotwendige anderwärts zu kaufen.

Man sieht aber schon, so etwas wird es bei uns niemals geben. Und ohne noch weitere Gedankenspiele anzustellen, will ich mal sagen, wie ich das Ganze sehe und wie es meiner Ansicht nach auch allgemein gesehen werden sollte.

Es gibt weite Bereiche in der Wirtschaft, die der Produktion dienen. Alles muß ja erst einmal produziert werden, und das ist nicht wenig. Man braucht sich ja nur mal, während man dies hier liest, in seinem Zimmer umzusehen, was da alles steht und liegt: all das sind Güter, die irgendeiner hergestellt haben muß.

Und selbst das, was aus Holz oder aus Kunststoff ist, wird mit Maschinen hergestellt und/oder bearbeitet, die aus Stahl sind. Sogar die Weiterverarbeitung von Stahl zum Beispiel zu Blechen, Kurbelwellen oder Getränkedosen erfordert immer wieder Maschinen, die aus Stahl sind, viele von monumentaler Größe! Ohne Stahl kein Kunststoff. Und kein Glas und kein Aluminium und und und. Ohne dass ich das jetzt überbewerten will, ist die Produktion von Stahl in einem Umfang nötig, dass zum Beispiel allein die Thyssen Stahl AG pro Jahr rd. 45 Millionen Tonnen davon erzeugt. Und absetzt.

Aber wer kennt die großen Stahlfirmen? Kaum einer. Und warum nicht? Erstens weil sie auf der Landkarte nur ein kleiner Punkt sind, an dem man leicht verbeifährt und -sieht. Zweitens aber, weil auch kaum einer Notiz von ihnen und ihrer Bedeutung nimmt. Das trifft Presse und Fernsehen gleichermaßen, und dass die über Technik und Produktion von Gütern viel zu wenig berichten, habe ich ja schon einmal mit Bedauern angemerkt. Wie wichtig dieses Wissen aber ist und welche Aufgabe für die Medien, dieses Wissen zu vermitteln, kommt auch in einem Leitartikel aus den USA zum Ausdruck, den ich hier hinten anfüge ("Produktions-Technik").

Nun aber zurück zu unserer "Dienstleistungs-Gesellschaft"! Nach dem eben Gesagten darf wohl davon ausgegangen werden, dass es bei uns (und in allen anderen Industriestaaten auch) nie zu einer reinen D-G kommen wird. Denken wir an die 4 Millionen Autos pro Jahr, an die ICE-Züge, an die Schiffswerften, meinetwegen auch an die Cola-Abfüllanlagen, --- alle können ihren Dienst am Kunden erst erfüllen, NACHDEM die Produktion stattgefunden hat. Und das wird sich auch nicht ändern, wenn an jeder Ecke eine Pizza-Bude steht. Deswegen sind wir noch lange keine "D-G" !

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