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Nick Cave & The Bad Seeds: The Best Of

Plattenlabel : Mute Records Genre : Pop
Spieldauer : 75:36 min Preis : ca. 30 DM

Pop-Stars sind oberflächliche Schönlinge, die auf Harmonien getrimmte Hitparadenmelodien ohne Anspruch abliefern. Selten war dieses Vorurteil so falsch wie im Falle des gebürtigen Australiers Nicholas Edward Cave. Nicht nur, dass der als Nick Cave bekannte Musiker stets so aussieht, als hätte er gerade wieder irgendeine Entziehungskur hinter (oder vor) sich. Seitdem er Anfang der Achtziger aus den Trümmern seiner alten Band "The Birthday Party" zusammen mit Blixa Bargeld, dem Gitarristen der "Einstürzenden Neubauten", die "Bad Seeds" gegründet hatte, überrascht er sein Fanpublikum und die staunende Medienöffentlichkeit mit jedem Album aufs neue. Und genau wie bei Regisseur Wim Wenders, in dessen Filmen des öfteren Songs von "Nick Cave & The Bad Seeds" Verwendung fanden, ist man sich bei Caves Alben nie endgültig sicher, ob man es mit der Arbeit eines wahren Künstlers zu tun hat, oder ob nicht die Pose die Position, die Affektion die Aussage, der Schein das Sein ersetzt. In jedem Falle unterschied sich die Musik der Band um Cave, den Sänger, Komponisten, Texter und Tastenkünstler, schon seit dem "Bad Seeds"-Debüt "From Her To Eternity" aus dem Orwell-Jahr 1984 erheblich von dem, was sich sonst auf dem Musikmarkt mühte. Bis zur Atonalität verzerrte Melodien im Kontrast zu sanften Balladen, Texte, die voller mal mehr, mal weniger offensichtlicher Anspielungen auf religiöse und philosophische Motive stecken und Caves sonorer Gesang verschafften den Stücken der "Bad Seeds" in den seltensten Fällen Hitparadenqualitäten. Dass es der Mann, der zeitweise London, Berlin (West) und Sao Paolo zur Wahlheimat erkoren hatte, dennoch selbst in die "Heavy Rotation" des Trend-Senders "mtv" schaffte, hat er einer ungewöhnlichen Kooperation im Rahmen seines vorletzten Studioalbums "Murder Ballads" zu verdanken. Ausgerechnet das ehemalige Stock-Aitken-Waterman-Pop-Mädel Kylie Minogue sang dort mit Cave das bei aller vordergründigen Harmonie zutiefst schwarze Duett "Where The Wild Roses Go" und verhalf so ihrem Landsmann zu einem echten Charterfolg. Ganz künstlerisch korrekt lehnte es Cave dann jedoch ab, von "mtv" auch noch für den "Music Award" nominiert zu werden - immerhin gehe es ihm um Kunst und nicht um Wettbewerb. Eine derart eigenwillige Karriere verdient ein Zwischenfazit - und mit der nun erschienenen "Best Of"- CD liegt ein solches vor.

Die Kompilation besteht aus insgesamt sechzehn Titeln, wobei jede Schaffensphase der "Bad Seeds" angemessen berücksichtigt wird. Dementsprechend weitgefächert ist auch das vorhandene musikalische Repertoire. Nach dem (jedenfalls für Caves Verhältnisse) äußerst lebhaften Muntermacher "Deanna" vom "Tender Prey"-Album aus dem Jahre 1988 folgen in bunter und leider auch nicht nur ansatzweise geordneter Abfolge bekanntere und unbekanntere Titel, die zum ganz überwiegenden Teil von Cave komponiert und betextet wurden. Nur bei manchen Songs hat sich der musikalische Querkopf helfen lassen und lediglich "Stranger Than Kindness" stammt ausschließlich von Caves Mit-"Seed"s Anita Lane und Blix Bargeld. Den Hörer erwartet ein eigentümliches Pottpourri aus eingängigen Balladen und schrägen, surreal angehauchten Pop-Songs. Hier wäre eine chronologische Zusammenstellung eventuell ganz aufschlußreich gewesen, da die "schrägeren" Stücke (wie z.B. das auch inhaltlich alles andere als leichtfüßige "The Carny") allesamt eher der Frühzeit der "Bad Seeds" zuzordnen sein dürften. Mit Caves Umzug nach Sao Paolo Ende der Achtziger ist auch eine gewisse musikalische Zäsur verbunden. Zwar sind auch die Songs der Alben "Murder Ballads" und "The Boatmanīs Call" alles andere als vordergründig, Cave hat seine (Selbst)Reflektionen über den Tod, die Liebe und das Schicksal jedoch in weitaus gefälligere Melodien eingebettet. Vorweg ist dabei natürlich das schon erwähnte "Where The Wild Roses Grow" zu nennen. Aber auch das auf einem "Traditional" basierende "Henry Lee" (ebenfalls vom "Murder Ballads"-Album und im Duett mit P.J. Harvey gesungen) und die Beiträge vom "Boatman`s Call" ("Into My Arms" und "(Are You) The One That Iīve Been Waiting For?") zeigen einen Nick Cave, der sich von der musikalischen Experimentierlust, wie sie etwa in "Tupelo" anzutreffen ist, zugunsten ruhiger Harmonien mit weitgehend nur aus sanfter Klavierbegleitung bestehender Instrumentierung verabschiedet hat. Insofern stellt das Album eine stimmige und abwechslungsreiche Mischung dar. Erfreulicherweise hat auch das schmissige "Red Right Hand" vom "Let Love In"-Album aus dem Jahre 1994 Aufnahme in die Zusammenstellung gefunden - "Scream"-Fans wird es freuen, sorgte der Song doch im ersten Teil von Wes Cravens Horror-Satire für die kongeniale musikalische Untermalung des mordbedingten Schulausfalls.

"Though critics have spoken of the new found spirituality in Nick Caveīs music, he has, in his intensel preoccupied way, and despite his lack of belief in `an interventionalist Godī, been on his own kind of inner quest for a long time now. A doubter`s quest, but one possessed of a spiritual element nonetheless. Which is perhaps the key reason for the calmness that informs these latter songs, the sense of reconciliation - with the world, with himself - that, for the time being, at least, has replaced the brooding intensity of old."

-- Sean O`Hagan im Booklet

Dank der musikalischen Vielfalt läßt sich über den Stils der CD natürlich nichts allgemeingültiges sagen. Grundsätzlich gilt jedoch, dass die Stücke der "Bad Seeds" zu einem Großteil eine dunkle, melancholische Atmosphäre verbreiten. Oftmals erscheint ein Vergleich etwa mit der Arbeit der "Legendary Pink Dots" angebracht, aber auch an Lou Reed fühlt man sich beim Hören der Kompilation durchaus erinnert. Letztlich, und das überrascht wohl kaum, besitzen Caves "Bad Seeds" aber vermutlich schlichtweg einen ganz eigenen Stil. Dafür, dass dieser über die Jahre hinweg spannend blieb, dürfte auch der hohe Grad an personeller Fluktuation, der die "Bad Seeds" seit ihrer Gründung unterlagen, verantwortlich sein. Um das Triumvirat aus Cave, Bargeld und Mick Harvey herum griffen insgesamt über ein Dutzend verschiedener Musiker in die Saiten oder Tasten. Negative Auswirkungen auf die Qualität sind dabei nicht feststellbar - die Musik der "Bad Seeds" klingt von der ersten bis zur letzten Sekunde handwerklich solide bis bravourös. Gleiches gilt auch für die Aufmachung des "Best Of"-Albums. Während die Songtexte bedauerlicherweise nicht im zwanzigseitigen Booklet abgedruckt wurden, finden sich dort neben einem ausführlichen Text über die Band und deren Ursprünge und Entwicklungsphasen Photographien der einzelnen Musiker. Auch eine Diskographie wurde als gesondertes Heftchen beigefügt, so dass "The Best Of" in jedem Fall ein hervorragender Einstieg in die Welt der Musik des Nick Cave darstellen dürfte. Auch das Cover, ein Gemälde von Tony Clark, fügt sich mühelos in den positiven Gesamteindruck ein - und macht das "Best Of"-Album zum erst zweiten offiziellen "Bad Seeds"-Album, auf dessen Cover kein Porträt von Nick Cave prangt. Wer die spannende Entdeckungsreise in eine eigentümliche, faszinierende musikalische Welt und in zum Teil verstörend-poetische Texte antreten will, kann jedenfalls unbesorgt zugreifen. Und wer ganz schnell ist, hat vielleicht noch das Glück, ein Exemplar einer limitierten Edition zu ergattern. Diese enthält auf einer zweiten CD Auszüge aus dem Mitschnitt zweier "Bad Seeds"-Konzerte in der Londoner Royal Albert Hall am 19. und 20. Mai 1997. Dabei befinden sich unter den insgesamt neun Songs mit einer Gesamtspieldauer von etwa 39 Minuten zwei Stücke von "The Boatman`s Call" ("Lime Tree Arbour" und "Brompton Oratory") sowie der Titeltrack vom "Let Love In"-Album, die in der eigentlichen Kompilation fehlen. Alles in allem stellt die Bonus-CD eine nette Ergänzung dar, die man haben kann, aber nicht haben muß. Insbesondere die Live-Fassungen der beiden "Murder Ballads"-Duette bleiben doch erkennbar hinter dem jeweiligen Original zurück. Aber einem geschenkten Gaul schaut man ja bekanntlich nicht ins Maul. Und diesen kann man sich ruhigen Gewissens selbst schenken. Keine Schlußpointe zum Wiehern, aber immerhin...

(c) 1998 by Andreas Neumann

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