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And now: Number four - THE BIRCH

oder: Versuch einer eher unkritischen Annäherung an das musikalische Niemandsland der späten 90er in Norwegen

Allein die Namen der Beteiligten machen die CD zum Kultgegenstand unangepaßter Pseudokommentatoren: wenn man vom "Christian Wallumr˘d Trio" spricht, dann tun selbstgefällige Feuilleton-Götter mit viel Meinung und wenig Sachverstand dies mit distanziert-despektierlicher Spitzfinger-Sprache und dem unverkennbaren Unterton der Überraschung, dass es da offenbar doch noch etwas gibt, wovon sie nichts wussten... (Sie verallgemeinern, mein Herr! Bedenken Sie, wie Sie in das westliche Schema zurückfallen!) Da setz` noch einen drauf: wenig Meinung und noch weniger Kompetenz:

Die CD heisst "No Birch" vom - genau - Christian Wallumr˘d Trio und konterkariert solcherart das in vier Fassungen aufgenommene Herzstück "The Birch" - Erklärung entfällt selbstredend. Dem Pianisten zur Seite stehen der Trompeter Arve Henriksen und der Perkussionist Hans-Kristian Kjos S˘rensen. Die drei lassen sich in dem undefinierten Feld zwischen Jazz, Klassik und der mittelalterlichen Tradition ihres skandinavischen Heimatlandes treiben.

Das Album ist von einigen Hauptströmungen inspiriert: dem Free Jazz europäischer Prägung, insbesondere der polnische Trompeter Tomasz Stanko scheint immer wieder anzuklingen, der klassischen Kammermusik wie auch der modernen Klassik und die rituelle Musik des christianisierten Norwegens. Die drei jungen Musiker (laut den Aussagen eines nicht näher legitimierten Kommentatoren im Begleittext alle unter 40) gehen ziemlich ambitioniert an dieses Unternehmen heran. Dabei bleiben eindeutig jugendliche Frische und Übermut auf der Strecke. Musikalisch spannt sich der Reigen von der Komposition "The Birch" über freie, atonale Stücke und dissonante Tonreihen bis zu erstarrten Impressionen. Die Musik ist von überwältigender Monotonie und Monochromie. Gespensterhaft schleichen Noten im Schatten eines grandiosen Klangbildes vorbei. Nicht nur das erste Stück "She passes the house of her grandmother" könnte zu einem Bergman-Film passen (so beobachtet wieder unser unbekannter Erstrezensent). Immerhin ist das kein Garbarek-Plagiat, denn jegliche Freude wird völlig ausgeblendet; auch die Spielfreude. (Fast) Alle Titel gleichen einem eiskalten Alptraum, der nicht endet, aber sich auch nicht entwickelt, er scheint einfach da zu sein. Geradezu sakrale Dimension kann man der Musik nicht absprechen, denn die drei spielen jeden Ton, als könnte/ müsste es ihr letzter sein. Die vermeintlichen tradierten Hintergründe verlieren dabei völlig ihre Bedeutung, aber an ihre Stelle kann nichts neues treten.

Wenn drei Musiker mit dem Minimalkonsenz, einander ganz genau zuzuhören, zusammentreten, kann daraus etwas umwerfendes werden. Diese Einstellung hat das Trio unverkennbar, insbesondere Kjos S˘rensen macht sich darum verdient und liefert als Nichtschlagzeuger das beste (und einzige) Schlagzeugsolo im nordischen Jazz noch dazu. Allerdings bleiben die drei darin stecken: jeder Ton wird sorgfältig begutachtet, eine Kontinuität ergibt sich daraus natürlich nicht. Das Trio beharrt auf der Meditation des Klanges im einzelnen Ton. Der Bogen zum Spiel wird nicht gefunden. Das Resultat ist wohl sehr vom persönlichen Geschmack abhängig. Die Folge: Kopfschmerzen. Sorry, guys: Ich hab schon besseres gehört. Aber wer`s mag...?

Einige Titel und Anklänge sind überzeugend, und auch die seltsamen atmosphärischen Klänge vieler Stücke sind grandios. Aber als ein Album wirkt das alles zu irritierend. Dabei gibt es einiges zu hören: den luftigen Klang von Henriksens Trompete, Wallumr˘d als asketischen Jarrett-Verschnitt oder das Perkussions-Solo "Royal garden" ebenso wie die perfekte Kooperation der Musiker etwa in "Somewhere east" und die aufschreienden Klänge der Perkussion.

Niemand sollte behaupten, dass die Musik unser Freund ist. Wenn unsere Spezies sich in musischer Aktivität als Kulturwesen versucht, droht kurzlebiger und mediokrer Zeitgeist-Aufguß. Es kann im Klang nicht nur um Weichstreichelei und Harmonie gehen. Das haben vor diesem Trio schon ganz andere gezeigt. Deshalb ist der Bedarf fragwürdig: den "Abbildcharakter" der Musik hat der Jazz mindestens so wie Minimal Musik oder die moderne Klassik längst widerlegt. Die Erforschung des Klanges kann man spannender und mit mehr Persönlichkeit gestalten. (Jedenfalls sind mir jetzt die gnadenlosen Vorzüge von Garbareks "Visible world"-Suite klar...) Zwischen tradierter Sakralmusik und völlig freier atonaler Intonation gelingt hier jedenfalls kein großer Wurf. Vielleicht war das gar nicht der Versuch, sondern der Beweis, daß Musik eine ernste und aufreibende Sache ist. Der gelingt recht überzeugend... So bleibt lediglich ein begabter, aber eben epigonaler Mischmasch der Quellen, die von der Revolution im norwegischen (?) Jazz vor bald 30 Jahren offen legte mit Akzentverschiebung Richtung Disharmonie. Sicher ein anstrengender Anfang.

Die Welt ist Klang, sagte J. E. Behrend. Das Wallumr˘d Trio läßt keinen Zweifel, dass es sich um eine fremde, verzweifelte Welt handelt, in der man sich hilf- und haltlos hin- und hergestoßen findet. Die Freiheit der Musiker scheint hier in der rituellen Einstimmung der Antiharmonie zu liegen. Aber irgendwie fehlt (außer in "The Birch") der erkennbare menschliche Faktor.

Aber vielleicht irr` ich mich sowieso, und die Winterdepression existiert doch, gepaart mit mangelnder Inspiration und drei Scheidungen...

Uneuphorisches, wenn auch aus kleinkarierter Denk- und Hörgewohnheit gestoßenes Fazit: Den nächsten ear-buster in Gestalt der neuen Garbarek-CD scheint man sich aufzuheben für das 30jährige Existenzjubiläum nächstes Jahr. Da fang ich jetzt mal lieber an zu sparen...

(c) Johannes Strauß
21. 05. 1998

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