Name | : | Amiga Writer | Version | : | 1.0 |
Vertriebsform | : | kommerziell | Preis | : | 149 DM |
Hersteller | : | Haage & Partner | Genre | : | Textverarbeitung |
Selten wurde in den letzten Jahren ein Amiga-Programm mit so großem Interesse erwartet wie die neue Textverarbeitung aus dem Hause Haage & Partner. Im Rahmen der Computer '96 wurde erstmals der "easy writer" angekündigt - und was die Programmierer an Leitungsdaten versprachen, liess sich wirklich hören. Ein einfach zu bedienendes Programm sollte es werden, dessen Funktionsumfang sich auf die wichtigen Dinge konzentrieren würde und nicht mit dem für andere Amiga-Textverarbeitungen bis dato kennzeichnenden überflüssigen Schnickschnack überladen sein sollte. Insbesondere die Ankündigung, der "easy writer" werde, im Gegensatz zu den Konkurrenten "Final Writer" und "Wordworth", über eine wirklich praxistaugliche Fussnotenverwaltung verfügen, liess die Herzen verzweifelt nach Amiga-Lösungen (abseits von "TeX") suchender Studenten höher schlagen. Doch dann stürzten sich Haage & Partner in das "WarpOS"-Projekt, dem höchste Priorität eingeräumt wurde, so dass die Entwicklung von "easy writer" de facto ruhte. Aber nachdem die PowerPC-Software endlich lauffähig und veröffentlicht war, wurden auch die Arbeiten an der hauseigenen Textverarbeitung wieder aufgenommen und der "easy writer" seit nun gut einem halben Jahr massiv in allen kommerziellen Amiga-Publikationen beworben, so dass der Bekanntheitsgrad des Programmes wohl den der Konkurrenz bereits zu einem Zeitpunkt erreicht haben dürfte, zu dem noch niemand außerhalb des Entwicklungsteams um Programmierer Jochen Becher die Textverarbeitung tatsächlich benutzt hatte. Aber damit der Obskuritäten nicht genug - in einer, zumindest für Außenstehende so wirkenden, Nacht-und-Nebel-Aktion schloß die Glashüttener Softwarefirma einen Lizenzvertrag mit Amiga Technologies und ersetzte kurzerhand den so mühsam aufgebauten Produktnamen "easy writer" durch "Amiga Writer". Unter diesem Titel wird das Programm nun seit etwa einer Woche ausgeliefert. Im folgenden soll in aller Kürze ein erster Eindruck der aktuellen Version 1.0 vermittelt werden. Ein ausführlicher Test war aufgrund der knappen Zeit nicht in auch nur halbwegs seriöser Form realisierbar - er wird bis zur nächsten "Gadget"-Ausgabe nachgeholt werden.
Die erste Überraschung erwartet den "Amiga Writer"-Käufer unmittelbar nach dem Öffnen der Verpackung. Nicht die erwartete CD-ROM liegt dort. Die Textverarbeitung wird vielmehr auf zwei DD-Disketten ausgeliefert - und selbst hierbei wird nur eine einzige vom Programm selbst belegt, auf der zweiten Diskette befinden sich das (lediglich in elektronischer Form vorliegende) Handbuch und einige Beispieldateien. Zumindest hinsichtlich der Anleitung wird sich das aber mit Version 2, die die Käufer von Version 1 kostenlos erhalten sollen, ändern - Haage & Partner versprechen für diese eine gedruckte Dokumentation. Aber auch mit der (natürlich deutschsprachigen) Anleitung im AmigaGuide-Format kann man sehr gut arbeiten. Sie ist verständlich geschrieben, fast (aber nicht ganz) rechtschreibfehlerfrei und setzt in sinnvoller Weise Querverbindungen innerhalb des Textes ein. Daneben befindet sich aber auch eine "Readme"-Datei (trotz des irreführenden Dateinamens ebenfalls in deutscher Sprache) auf der Diskette - sie enthält neben einer Auflistung der nach Fertigstellung von Version 1 entdeckten Programmfehler (und Hinweisen, wie man diese umgehen kann) auch kurze Informationen zum Installationsvorgang. Dieser gestaltet sich denkbar einfach: ein Installer-Skript schauffelt die benötigten Daten von beiden Disketten in ein automatisch generiertes Verzeichnis am gewünschten Zielort - fertig. Beim ersten Programmstart muss man den "Amiga Writer" nun noch "personalisieren", d.h. man muss seinen Namen, optional den Namen seiner Firma, und vor allem auch die auf einer dem Programm beiliegenden gesonderten Karte vermerkte Seriennummer eingeben, um die Textverarbeitung überhaupt nutzen zu können. Hat man auch das erfolgreich absolviert, kann man dann aber schlußendlich tatsächlich loslegen.
Die zentrale Steuereinheit des "Amiga Writer" ist die sogenannte "Kontrolleiste" (obwohl es eigentlich ein Fenster und keine Leiste ist). Sie enthält elf Piktogramme, über die grundlegende Programmfunktionen aktiviert werden können (z.B. das Erstellen eines neuen Dokuments, das Öffnen eines alten Dokumentes, etc.). Ein wenig ärgerlich ist zum einen, dass dieses Fenster kein Schliessgadget hat, so dass man, um "Amiga Writer" zu beenden, immer den Weg über das PullDown-Menü (oder über den entsprechenden Shortcut) gehen muss. Zum anderen sind die Elemente, die sich in der Kontrolleiste befinden, vorgegeben und können nicht vom Anwender ausgetauscht, erweitert oder sonstwie ediert werden. Diese mangelnde Konfigurierbarkeit fällt auch im zweiten wichtigen "Amiga Writer"-Element auf - dem Dokumentfenster, das den zu bearbeitenden Text enthält und in dessen Kopfzeile sich ebenfalls einige fest vorgegebene Bedienelemente befinden. Wie von anderen Textverarbeitungen her bekannt wird die Schreibfläche von zwei Linealen umrahmt. Dabei dient das horizontale Lineal auch zur Bestimmung von Tabulatorstops, was intuitiv einfach mittels Drag & Drop funktioniert (aber natürlich alternativ auch milimetergenau über ein Format-Menü erfolgen kann. Überhaupt bekommt man alles geboten, was selbst für eine Amiga-Textverarbeitung bislang bereits typisch war - links- und rechtsbündiger Text ist ebenso möglich wie Blocksatz oder Textzentrierung, Zeichen können hoch- oder tiefgestellt werden, beliebige Zeichensätze (aus frei bestimmbaren Font-Verzeichnissen) können angewendet und rein layouttechnischen Zwecken dienende Sonderzeichen ein- oder ausgeblendet werden. Erwähnenswert(er) sind da schon eher zwei Funktionen aus dem "Editieren"-Menü. Über "Element einfügen" kann man nämlich u.a. mit Datatype-Unterstützung praktisch jede beliebige Grafik in das Dokument einbinden. Und hinter "Fussnote einfügen" soll sich die (seit "Word Perfect") erste professionelle Fußnotenverwaltung verbergen, die es auf dem Amiga seit viel zu langer Zeit im Rahmen einer Textverarbeitung zu bestaunen gab. Ohne dass bisher Gelegenheit bestand, dies in extenso zu testen, erwies sich die Fussnoten-Funktion bislang zwar als einfach zu bedienen und als erfreulich flott. Gezielten "Attacken" war sie jedoch nicht gewachsen, sondern "vergass" in solchen Fällen z.B. des öfteren, nach dem Löschen einer niedrigen Fussnotennummer die nachfolgenden Fussnoten entsprechend neu zu numerieren.
Bei der Gestaltung von "Amiga Writer"-Dokumenten kommt dem "Boxkonzept" große Bedeutung zu. Dabei handelt es sich nicht um eine Veranstaltung mit Henry Maske oder Axel "Er hat mich gehauen." Schulz. Haage & Partner verstehen darunter vielmehr die Verwendung von rechteckigen Bereichen als Grundlage sämtlicher Elementenverwaltung - sowohl Texte als auch Grafiken benötigen eine Box, in die sie eingebunden werden können. Das hört sich kompliziert an und ist es wohl in letzter Konsequenz auch. Für den alltäglichen Bedarf kann man das Boxkonzept jedoch ruhigen Gewissens wieder vergessen, da für jede neue Seite automatisch eine entsprechende Textbox eingerichtet wird und man munter drauflos tippen kann. Das geht im übrigen erfreulich schnell - hier spielt der "Amiga Writer" mit Sicherheit bereits jetzt schon in derselben Liga wie "Wordworth" und "Final Writer". Überhaupt kann man schon die vorliegende Version 1 problemlos jedenfalls für die kleinen Aufgaben des Alltags, wie das Schreiben von Briefen, einsetzen - zumal auch die Druckfunktion tadellos ihren Dienst verrichtet und ohne zu murren mit "Turbo Print" (getestet) und mit "Studio II" (von der Anleitung behauptet) zusammenarbeitet. Überhaupt macht das Programm in einiger Hinsicht viel Freude. So besteht z.B. die sehr sinnvolle Möglichkeit, eine frei einstellbare Anzahl von Sicherheitskopien automatisch anlegen zu lassen. Oder eine Exportfunktion ins ASCII- und ins RTF-Format, so dass bereits jetzt ein (zumindest rudimentärer) Datenaustausch mit anderen Rechnerplattformen möglich ist.
Für wenig Begeisterung sorgt hingegen ein kleines Booklet, das in die Verpackung der beiden Disketten eingelegt ist. Wie dort der "Amiga Writer"-Käufer, der schließlich das Gehalt der Haage & Partner-Truppe (mit)bezahlt, als potentieller Raubkopierer diffamiert wird, ist schon ziemlich dreist und zeigt einmal mehr das wohl nur bei Amiga-Firmen in dieser Form anzutreffende kundenverachtende Gebahren, wenn es um Fragen des Urheberrechts angeht. Nicht unwitzig auch der Hinweis, dass "unsere Lizenzvereinbarung" es dem glücklichen Käufer gestatte, "für Sicherungszwecke eine Kopie der Originaldisketten anzufertigen" - so als gebe es kein Urheberrechtsgesetz, welches genau dieses Recht zwingend postuliert. Doch natürlich sind das nur Nebenkriegsschauplätze - die eigentliche Musik spielt auf dem Feld der Textverarbeitung selbst. Und hier glückt Haage & Partner eine weitaus erfreulichere Vorstellung, wenngleich natürlich auch dort noch lange nicht alles eitel Sonnenschein ist. Dass der "Amiga Writer" noch einige kleinere Programmfehler enthält, ist dabei durchaus verzeihbar. Die zwar nicht besorgniserregende, aber doch ins Gewicht fallende Anzahl von illegalen Speicherzugriffen und Systemabstürzen, die er während der nur kurzen Testphase produzierte, spricht jedoch dafür, dass Version 1 letzten Endes wohl eher eine öffentliche Beta-Version ist. Da die Nachfolgeversion im Kaufpreis enthalten ist, sollte das dem Käufer jedoch von Beginn an klar gewesen sein und ist somit zu verschmerzen. Auch dass die eigentlich angekündigte PowerPC-Version noch nicht fertig ist, sondern nachgeliefert werden wird, dürfte als eher vernachlässigenswert anzusehen sein. Trotzdem besteht durchaus Anlaß zur Besorgnis. Viele wichtige Funktionen fehlen nämlich noch völlig - insbesondere wird für Version 2 die Einführung von Tabellen unverzichtbar sein, wenn der "Amiga Writer" tatsächlich zur Referenztextverarbeitung auf dem Amiga avancieren will. Statt auf überflüssigen Krimskrams, wie auf eine (tatsächlich vorhandene) Smiley-Importfunktion, hätte man sich bei Haage & Partner mehr auf solche Essentialien einer Textverarbeitung konzentrieren sollen. Vor allem aber muss der "Amiga Writer" ganz erheblich "amigaähnlicher" werden. D.h. er muss es wieder dem Anwender überlassen, welche Funktionen dieser für wichtig hält und wie sein System auszusehen hat. Die Kontrolleiste und die anderen Steuerungselemente müssen dringend in erheblichem Maße konfigurierbar gehalten werden. Auch die bis dato zwangsweise aktivierte Silbentrennungsfunktion muss (vor allem auch, da sie sehr oft fehlerhaft trennt) unbedingt zu einer Auswahloption zurückgefahren werden. Ein ARexx-Port schließlich wäre quasi das Sahnehäubchen auf einer Amiga-Textverarbeitung - und sollte bei der Zubereitung von Version 2 ebenfalls in Betracht gezogen werden. Obwohl im Rahmen dieses Tests kein abschließendes Urteil gefällt werden soll (oder auch nur könnte) zeichnet sich ein vorläufiges Fazit ab: Um zum Vorzeigeprodukt der Branche zu werden, muss der "Amiga Writer" noch einiges zulegen. Die Ansätze sind da, das Grundkonzept einer intuitiv zu bedienenden, nicht an programmtechnischer Überladung zugrunde gehenden Textverarbeitung ist vielversprechend und schon in der vorliegenden Fassung kann man das Programm bedenkenlos für die tägliche Korrespondenz und ähnliche vom Umfang her überschaubare Projekte verwenden. Jetzt gilt es für Haage & Partner zu beweisen, dass man darüber hinaus auch noch das selbst- und deutlich höher gesteckte Ziel noch erreichen kann.