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"Terrible, wonderful, crazy, perfect"

Plattenlabel : Warner Music Genre : diverse
Spieldauer : 46:40 min Preis : ca. 35,- DM

Im Jahr 1973 erschien von einem damals unbekannten 20jährigen Musiker namens Mike Oldfield eine Schallplatte mit dem Titel "Tubular Bells". Dieses Instrumentalwerk, das Oldfield komplett eigenhändig im Overdubbing-Verfahren einspielte, verkaufte sich bis dato cirka 17 Millionen mal.

So oder so ähnlich beginnen praktisch sämtliche Artikel oder Kritiken über Oldfields neueste CD "Tubular Bells III". Tatsächlich konnte der englische Künstler nie aus dem Schatten seines weltweit erfolgreichen Erstlings "Tubular Bells" heraustreten, stets wurde er an seinem "Opus One" (so der damalige Arbeitstitel) gemessen. 20 Jahre nach Erscheinen von "Tubular Bells" machte Oldfield schließlich aus seiner Not eine Tugend und brachte einen zweiten Teil von Tubular Bells auf den Markt. Die Musik von "Tubular Bells II" lehnte sich teilweise an das Original an - so gab es etwa wieder einen "Master Of Ceremonies", der am Ende der ersten Hälfte die einsetzenden Instrumente ankündigte -, um andererseits aber auch völlig neue Wege zu gehen. Das Konzept ging auf, begleitet von einigem Medienrummel, den eine Fortsetzung von Oldfields bekanntestem Werk zwangsläufig hervorrufen mußte, wurde "Tubular Bells II" europaweit ein großer Erfolg, der sich auch auf einer folgenden Tournee fortsetzen sollte.

Doch schon die nächste CD "The Songs Of Distant Earth", obwohl recht ambitioniert angelegt - das Album basiert auf der gleichnamigen Science Fiction Geschichte von Arthur C. Clarke und ist mit einem Multimedia-Track versehen (der aber dem Vernehmen nach wohl nur auf den wenigsten Rechner wirklich funktionierte) - stieß auf geringe Resonanz und von der gepflegten Langeweile des Nachfolgers "Voyagers" mochten schließlich nur noch wenige Notiz nehmen.

So war es offenbar für Oldfield naheliegend, es erneut mit einer Fortsetzung von "Tubular Bells" zu versuchen, diesmal anläßlich des, jawohl, richtig gerechnet, 25jährigen Jubiläums von Tubular Bells. Der Musiker hatte inzwischen auf Ibiza ein großzügiges Domizil mit Studio bauen lassen und pflegte auf der Insel einen nach eigenen Aussagen exzessiven Lebensstil, zu dem es beispielsweise auch gehörte, betrunken mit dem Mercedes auf das Dach eines Hotels zu brettern.

Anfang September 1998 war es dann soweit: Mike Oldfield präsentierte, frisch blondiert von der Insel zurückgekehrt, der Öffentlichkeit mit einem Open Air Konzert in der Londoner Horse Guard Parade "Tubular Bells III", die CD lag bereits ein paar Tage vorher in den Läden.

Die CD beginnt mit Windgeräuschen, begleitet von einem Donnerhall, schließlich setzt wie bei den beiden Vorgängern das bekannte "Tubular Bells" Thema in leicht abgewandelter Form ein. Doch schon bald lassen Techno-Basslines, wummernde Drums und Synthesizereffekte den Einfluß von Ibizas Diskotheken auf Oldfield erahnen! Doch "The Source Of Secrets" läßt sich nicht einfach mit dem Stempel "Techno" abtun, denn das Stück läßt im folgenden Oldfields Gitarre ebenso erklingen wie die wirklich schöne Stimme der Sängerin Amar. Am Ende des Stückes wird es noch einmal lauter und bombastischer, das Ganze endet mit einem erneuten Donner und mündet schließlich in "The Watchful Eye", einem sehr ruhigem und getragenem Instrumental, das im wesentlichen aus dem schon zu Beginn der CD zu hörenden "Wind-Sound" besteht. Oldfield hat hierzu in einem Interview berichtet, dass er in ein "enorm großes Olivenölgefäß" geklettert sei, um dort seinen speziellen "Wind-Sound" aufzunehmen. Wie schon gesagt, Oldfield Leben in Ibiza war recht exzessiv...

Packender geht es dann mit "Jewel In The Crown" weiter. Ein moderner, fetter Beat, ein spaciger Synthesizer-Teppich im Hintergrund, darüber jammert die "typische" Oldfield E-Gitarre. Zudem läßt auch hier Amar, "one of Britain's brightest Asian stars" (Presseinfo), ihre wohlklingende Stimme erklingen. Sie singt allerdings keine Texte sondern, wie zu besten "Five Miles Out"-Zeiten, Phantasiewörter. Der Sound erinnert insgesamt sehr an "The Songs Of Distant Earth" und weiß zu überzeugen.

Anschließend folgen rohe und ungeschliffene Gitarrenakkorde, heftige E-Gitarrenriffs setzen ein, das Ganze klingt zunächst ein wenig zusammenhangslos, um dann aber doch noch sein von wilden Gitarrensounds getragenes Thema zu finden. "Outcast" (ausgestoßen) zeugt von der Verzweiflung und Depression Oldfields, zum Ende hin ertönen die Worte "Out You Demon, Out You!", offenbar von ihm selbst gesprochen. Schließlich taucht zum furiosen Finale des Stückes mit dem bekannten, ins Nichts verschwindenden Schrei des "Piltdown Mans" noch eine kurze Reminiszenz an die ersten "Tubular Bells" auf. Insgesamt sicherlich nicht jedermanns Geschmack, aber ein idealer Sound zumindest für dunkle Stunden oder zur Begleitung eines spektakulären Selbstmordversuches.

Es folgt "Serpent Dream", ein Instrumental, das einem zunächst spanisch vorkommt: eine lupenreine Flamenco-Gitarre eröffnet den Song, unterlegt mit einem tiefen Bass. Handclaps setzen ein, der Flamenco-Sound der Gitarre wird komplexer, zischende Sounds lassen an die titelgebende Schlange denken, die am Ende des Stückes "zubeißt", musikalisch erneut dargeboten durch heftige E-Gitarreneinwürfe.

Sehr ruhig, die Geräusche von spielenden Kindern leise im Hintergrund, geht es weiter. Rosa Cedrón, die eigentlich Cellistin der spanischen Band Luar Na Lubre ist, trägt auf sehr getragene, fast dramatische Art und Weise die Melodie von "The Inner Child" vor. Der Song hat keinen Text, die Stimme der Cedrón wird vielmehr als eigenes Instrument eingesetzt, wobei sich der Song - besonders im Mittelteil, wenn unter Einsatz von Pauken, Becken und E-Gitarre das Lied seinen Höhepunkt findet - gefährlich nahe an der Grenze zum Kitsch entlanghangelt. Der Song - und damit auch der erste Teil von "Tubular Bells III" - endet mit einem sehr schönen Stück auf Oldfields Akustikgitarre, gefolgt von Donnerschlag und dem "Wind-Sound", mit dem die Platte schon begonnen hat.

Munter beginnt dann "Man In The Rain", das erste "normale" Stück mit der aus Funk und Fernsehen gewohnten Abfolge von Strophe, Strophe, Refrain, Strophe usw. Nur fällt hier von Anfang an auf, dass das Lied eine, um es einmal gelinde auszudrücken, "gewisse Ähnlichkeit" mit Oldfields erfolgreichster Single "Moonlight Shadow" aus dem Jahre 1983 hat. Zwar singt nicht mehr Maggie Reilly sondern Cara from Polar Star, dennoch klaut hier Oldfield ungeniert bei sich selbst. Tatsächlich hat er bei der Pressekonferenz nach der Londoner Konzertpremiere in aller Offenheit erklärt, dass er die Drumspur schlicht aus "Moonlight Shadow" heraus gesampelt habe. Hier und da gibt es zwar ein paar nette, neue Ideen wie z.B. die interessanten Additional Vocals (von Heather Burnett) oder das neugestaltete Gitarrensolo, insgesamt zeugt der Song aber nicht von großem Einfallsreichtum. Interessanter ist da schon der Text, der bereits vor über zehn Jahren, als Oldfield sich von seiner damaligen Frau Sally (mit der Oldfield drei Kinder hat) trennte, entstanden sein soll, zu dem ihm aber erst jetzt bei den Aufnahmen zu "Tubular Bells III" der passende Sound von "Moonlight Shadow", Verzeihung, "Man In The Rain" einfiel:

You're can't stay, no you can't stay
You're no loser, there's still time to ride the train
And you must be on your way tonight.
Think anew right through, you're a Man In The Rain.

Wie steht es so schön in der vor kurzem ebenfalls veröffentlichten Single-Auskoppelung:

"Dedicated to the men, women and children who stood in the rain",

womit aber vielleicht auch die Londoner Premiere, bei der es fürchterlich geregnet haben soll, gemeint ist. Fazit: Wer schon "Moonlight Shadow" mochte, wird diesen Song zweifellos lieben!

Durch das bloße Klavierspiel, mit dem "The Top Of The Morning" beginnt, bietet Oldfield im nächsten Track zunächst ein klangliches Kontrastprogramm. Doch wer eine langweilige Klavierschmonzette erwartet, sieht sich schon bald getäuscht, denn mit treibenden Rhythmus und den sich wiederholenden Klavierläufen entpuppt sich dieser Song als reinrassiges und wirklich sehr gelungenes Uptempo-Instrumental. Sicherlich einer der besten Tracks aus Oldfields jüngerem Schaffen.

"Moonwatch" stellt hingegen wieder ein sehr ruhiges, fast schon meditatives Stück dar. Sanfte Klaviersounds, dazu Sounds und Effekte, die an (sogenannte) New Age Musik erinnern. Schließlich kommt auch wieder eine von Oldfields Gitarren zu Gehör (erneut an "The Songs From Distant Earth" erinnernd), nach kurzem Höhepunkt klingt der Songs mit dem bereits bekannten "windigen" Klängen aus.

Dann startet "Secrets", wie der Name schon andeutet, eine Reprise des Anfangstracks. Im wesentlichen werden wieder die gleichen technoartigen Klänge und Rhythmen aufgeboten, um einen modernen Remix des bekannten "Tubular Bells" Openers zu gestalten, nur diesmal mit leicht geändertem Arrangement. Auch Amars Stimme ist wieder zu hören. Sehr effektvoll dann der Übergang zum nächsten und letzten Stück von "Tubular Bells III".

"Far Above The Clouds" beginnt erneut mit dem "Tubular Bells" Thema, tiefe Bässe und Herzschlag-Rhythmus erzeugen eine spannungsgeladene Stimmung, "Out You Demon!" Beschwörungen tauchen wieder auf und eine Mädchenstimme wiederholt mehrfach "Far Above The Clouds". Plötzlich stoppt das Stück abrupt, es ist nur noch der Herzschlag zu hören und die Kinderstimme spricht:

"And the man in the rain picked up his bag of secrets
And journeyed up the mountain side
Far above the clouds
And nothing was ever heard of him again
Except for the sound of Tu- bu- lar bells!"

Und da sind sie auch schon: mit einem gewaltigen Sound krachen die titelgebenden Glocken in die Stille, begleitet von mehreren Akustikgitarren und schließlich Oldfields typisch jaulender elektrischer Gitarre. Dann ist auch Clodagh Simmonds wieder zu hören, die schon auf Oldfields dritter und nach Ansicht vieler Fans besten LP "Ommadawn" (1975) mitwirkte. Von "Ommadawn" wurden für "Far Above The Clouds" auch die einsetzenden afrikanischen Trommeln übernommen bzw. gesampelt. Schließlich fügt sich auch der bekannte Basslauf, mit dem die beiden Vorgänger unter Mitwirkung des "Master Of Ceremonies" das Ende von Tubular Bells Pt. 1 einleiteten, kongenial in das Stück ein. Mit einem letzten mächtigen Glockenschlag endet das Stück, zu hören ist noch Vogelgezwitscher und Kirchengeläut.

Als Fazit bleibt festzustellen, dass Mike Oldfield mit "Tubular Bells III" ein sehr abwechslungsreiches Werk mit vielen verschiedenen Stilmitteln und Sounds abgeliefert hat. Zwar ist hier und da eine gewisse Einfallslosigkeit nicht zu verleugnen (Paradebeispiel: "Man In The Rain"), dennoch bleibt es insgesamt eine spannende Platte, die auch nach mehrmaligem Hören spannend bleibt. Auffälig ist aber, dass "Tubular Bells III" immer dann seine starken Momente hat, wenn sich Oldfield auf seine Stärken besinnt und "handgemachte", ohne Techno-Schnickschnack versehene Instrumentalmusik bietet ("The Top Of The Morning", "Far Above The Clouds"). Das ganze Techno-Gezische und -Gewummse stört zwar nicht besonders, ist aber im großen und ganzen eigentlich entbehrlich. So ganz sicher war sich der Musiker hier aber wohl selbst nicht, wie sonst wäre der im Cover stehende Satz "Terrible, wonderful, crazy, perfect" zu verstehen? So bleibt die Hoffnung, dass Mike Oldfield jedenfalls im nächsten Projekt weniger als Sampling-Jongleur denn als Musiker und Instrumentalist auftritt, dergleichen hat er ja bereits angedeutet.

Freunden der originalen "Tubular Bells" sei an dieser Stelle noch der Hinweis auf die vor kurzem erschienene "25th Anniversary Edition" gegeben. Diese auf 7.500 Exemplare beschränkte Version wurde digital remastered und klingt auf wirklich verblüffende Weise besser als das verrauschte Original (und die schon überarbeitete Fassung aus der "Elements"-Box) und erhält außerdem noch ein kleines Booklet zur Entstehung von "Tubular Bells". Ferner gibt es vom "Duo Sonare" eine fantastische Einspielung von "Tubular Bells", die live allein mit zwei Akustik-Gitarren (!) vorgenommen wurde.

Beide CDs sind (zumindest) erhältich bei http://www.jpc.de.

Weitere und aktuelle Informationen unter http://www.tubular.net, der wohl besten Oldfield-Website.

Copyright © 1998 Axel Sodtalbers, Göttingen.

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