Lifestyle

Konzertbericht

Weihnachtssingen 1998

Die Toten Hosen in Mannheim

Der Punk war einmal eine Protestbewegung gegen die Konformität des Massengeschmacks, gegen die Normen der als spießbürgerlich empfundenen Gesellschaft. Das war vor zwanzig Jahren. In den Neunzigern, dem Jahrzehnt des Zynismus und der verlorenen Ideale, ist auch von dieser Idee nicht viel geblieben. Selbst die "Toten Hosen", schon immer eher ein Kompromiß aus deutscher Bierlaune und wütendem Bürgerschreck, gestehen offen ein: "Punk als Bewegung gibt es nicht mehr." Er mag zwar dahingeschieden sein, zuckt aber noch. So hatten die "Hosen" Ende 1998 den Einfall, einen alten Gag neu aufzukochen, mit dem sich die auf Imageschaffung und -pflege fixierte Musikwelt persiflieren läßt - die "Roten Rosen". Unter diesem Decknamen, versehen mit der (falschen) Legende, es handele sich um die Roadies der Band, hatten die "Hosen" schon im letzten Jahrzehnt eine Platte veröffentlicht, auf der sie endlich das spielen konnten, was sie selbst ihren eigenen, in musikalischer Hinsicht ohnehin leidensfähigen Fans nicht zumuten wollten. Und so war der Identitätswechsel auch diesmal Deckmantel für eine künstlerische Niveauabsenkung. Das neue "Hosen"-, bzw. "Rosen"-Album enthielt neben wenig neuem Material vor allem Pogo-Versionen bekannter Weihnachtsklassiker. Doch damit nicht genug - die "H/Rosen" machten diesen mauen Einfall auch noch zum Motto einer vorweihnachtlichen Tournee. Wer sich davon jedoch nicht abschrecken ließ, sondern darauf spekulierte, dass bei den Konzerten nicht nur die Punk-Version von "Little Drummer Boy", "Stille Nacht" und Konsorten beschert, sondern auch auf den über die Jahre hinweg angehäuften reichen Fundus tanz- und mitgröhlbaren Materials zurückgegriffen werden würde, konnte, so er angesichts des ungebrochen regen Publikumsinteresses schnell genug war, für knapp 36 DM eine Eintrittskarte für eine der garantiert nicht stillen Konzertnächte erwerben.

Dank (trotzdem) befreundeter langjähriger "Hosen"-Fans bot sich mir die Gelegenheit, einem solchen Spektakel beizuwohnen - und so fand ich mich dann am Dienstag, den 15. Dezember, in nur begrenzt vorweihnachtlicher Stimmung vor der Mannheimer Maimarkthalle wieder. Da wir in weiser Voraussicht (oder aufgrund einer krassen Fehleinschätzung) sehr früh den Weg in die badische Stadt gefunden hatten, war die Halle noch ziemlich leer, so dass Zeit blieb, in aller Ruhe einen Blick auf den martialisch mit Gittern abgesperrten Merchandising-Bereich zu werfen und sich über eine politische korrekte Aktion gegen die Abschiebung eines Teenagers lustig zu machen. Dummerweise erwies sich diese Trödelei als Fehler. Denn wie wir nun feststellen durften, befand sich unmittelbar vor der Bühne ein weiterer abgesperrter Bereich, in den die Saalordner nur eine begrenzte Anzahl von Fans hineinließen. Unnötig zu sagen, dass der - erstaunlicherweise aufrecht gehende - Schmallspurpotentat, der auf der Seite, von der wir Zugang begehrten, den Torwächter spielen durfte, die Grenze ausgerechnet nach meinen Bekannten und vor mir zu ziehen müssen glaubte. So blieb mir immerhin die Gelegenheit, dieses Sicherheitskonzept der "wellenbrechenden" Absperrung eines Vorbühnenbereiches in der Praxis zu bewundern. Um das Ergebnis vorwegzunehmen: Es funktioniert nicht, jedenfalls nicht so, wie es in Mannheim praktiziert wurde. Statt nur einem Hindernis, gegen das die Fans im Konzertgetümmel gepreßt werden, hat man es nun mit deren zwei zu tun. Das wäre erträglich und auch, im Sinne einer Abschwächung des Andrangs, sinnvoll, wenn bei der künstlichen Absperrung ausreichend viele Ordnungskräfte ihres Amtes gewaltet und nötigenfalls die Leute aus der Menge gezogen hätten. Dem war jedoch zumindest während der ersten halben Stunde nicht so, so dass die Situation hinter der Absperrung recht ungemütlich wurde - selbst für ein Punkrock-Konzert.

"`Es kommt die Zeit, in der das Wünschen wieder hilft . . .'. Was sollen wir uns noch wünschen? Weihnachten ist doch vorbei. In grauer Vorzeit haben die Toten Hosen mal als Punkband begonnen, als Schmuddelkinder. Heute sind es Hätschelkinder, eine Karriere vom Alptraum zum Traum aller Schwiegermütter. Was kommt noch ? Die zehn kleinen Jägermeister sind beerdigt, die schöne Guantanamera verpunkt, der Punk vervolkstümlicht, und gerade verklingen die letzten Jingle Bells. Campino, quo vadis?"

-- Neue Westfälische, "Pogo gegen den Festtagsspeck", 29.12.1998

Das Spektakel selbst begann schon in dem Moment, als die Vorgruppe, eine australische Punk-Combo namens "The Living End", die Bühne betrat. Zu den sehr eingängigen Punksongs ließ es sich wunderbar mitpogen - und genau das machten dann viele Fans auch. "Living End" leisteten ganze Arbeit und heizten dem Publikum in der inzwischen fast vollständig gefüllten Maimarkthalle kräftig ein. Besonders hervor tat sich dabei der Bassist, der seinen mächtigen Kontrabaß nicht nur wild malträtierte, sondern sich gelegentlich sogar auf ihn stellte. Die Stimmung war also gut und die Tanzmuskulatur gelockert, so dass auch in der Umbaupause, während der ein Vorhang mit dem der deutschen TV-Gemütlichkeit entliehenen Motto "Wir warten auf das Christkind", das auch zur Namensgebung des aktuellen "Rosen"-Albums herhalten musste, die Sicht auf die Bühne versperrte und diverse Rock-Klassiker vom Band die Fans bei Laune halten sollten, der harte Kern des Publikums unverdrossen weiterpogte. Als sich dann nach etwas weniger als einer halben Stunde der Vorhang wieder hob und den Blick auf die in ungebrochen infantiler Begeisterung für das vermeintlich schockierende Morbide mit Skeletten in Weihnachtskostümierung geschmückte Bühne freigab, gab es schließlich kein Halten mehr. Zu den Klängen von "Auf dem Kreuzzug ins Glück", dem ersten "Hosen"-Song des Abends, ging die Post ab. Und auch während der nachfolgenden "Weihnachtslieder" war ich, praktisch unmittelbar hinter der Absperrung stehend, vor allem damit beschäftigt, im Kampf um jeden auch noch so kleinen Flecken Standfläche nicht unterzugehen. Dieser machte, da er tanzend und hopsend ausgefochten wurde, eine Menge Spaß - jedenfalls während der ersten vier, fünf Songs, von denen man im Getümmel nur unwesentlich mehr mitbekam als den wummernden Gitarrenrhythmus. Als dann aber um mich herum die Leute im Viertelminutentakt wie die Fliegen umzufallen begannen und das Ausbleiben schlimmerer Verletzungen nur der Rücksichtnahme des (noch) reaktionsfähigen Publikums, das stets sofort einen freien Bereich um die Gestrauchelten schuf und ihnen zumindest eine helfende Hand reichte, zu verdanken war, war es mir irgendwann genug und ich verließ das Zentrum des Sturms. Man wird alt.

In etwas größerer Entfernung war die Stimmung dann zwar nach wie vor gut, aber weit weniger ausgelassen als in den vorderen Reihen. Hier ließ es sich sicher auf zwei Beinen stehen und den Rest des Konzertes etwas genauer beobachten. Zum Glück beschränkten sich die Mannen um Sänger Campino nicht auf die stets gleich gestrickten und wenig aufregenden Punkversionen von Weihnachtsliedern, sondern spielten dann auch endlich einige der "Hosen"-Klassiker - zur großen Freude des begeistert mitgröhlenden Publikums. Das ganze stand, wie nicht anders zu erwarten, oftmals unter der Devise "nicht schön, aber dafür laut", und wie um die eigene Unzulänglichkeit unter Beweis zu stellen, holte Campino für "Wünsch Dir was", einen der besten "Hosen"-Songs überhaupt, einen Fan aus dem Publikum auf die Bühne und ließ diesen die erste Strophe, bei der der Meister selbst sich zuvor verhaspelt hatte, ins Mikrofon gröhlen. Und Karl, so der Name des verschwitzten, aber glücklichen Punk-Gängers, machte seine Sache erstaunlich gut - text- und notensicher lieferte er eine mehr als nur brauchbare "Wünsch Dir was"-Version ab - unter der begeisterten Anteilnahme des Publikums. Überhaupt blieb die Stimmung, angeheizt durch allerlei Hits der Bandgeschichte ("Bonnie & Clyde", "Liebeslied", etc.) und einige wenige Fremdtitel ("Should I stay or should I go" von "The Clash", "Raise Your Voice"), gut - und trübte sich auch während des (im Kontext reichlich deplazierten) Stückes "Böser Wolf", in dem das Thema des Kindesmißbrauches abgehandelt wird, nicht wesentlich. Ob es allerdings wirklich noch angemessen war, nur wenige Tage, nachdem ausgerechnet in Mannheim ein Polizist im Dienst brutal niedergestochen wurde und starb, die schon immer reichlich mittelmäßige "Hosen"-Hymne "Hier kommt Alex", in der kriminelle Gewalt als Akt rebellischer Auflehung abgefeiert wird, zu spielen, scheint jedenfalls eher fragwürdig. Das Publikum störte sich daran indes nicht. Und spätestens als neun der "10 kleinen Jägermeister" ihre Tode sterben durften, hatte der Klamauk wieder die Oberhand und das Konzert an Unterhaltungswert gewonnen. Dabei durfte natürlich der obligatorische Seitenhieb gegen die alte rheinische Konkurrenz aus Köln nicht fehlen - "nur wegen dieses Idioten, der nach Köln fährt" mussten die "Hosen" eine Strophe des Songs wiederholen. Dass Ursache natürlich einmal mehr Campinos durchaus erfrischende amateurhafte Einstellung zu den Aufgaben eines Sängers war, braucht nicht gesondert erwähnt zu werden. Angesichts der trotzigen Betonung lokalpatriotischer Rivalitäten erwies sich jedoch ein Versuch, sich beim Mannheimer Publikum anzubiedern, als veritable Bauchlandung im Fettnäpfchen.

"Weniger überzeugend sind seine Ansagen: Als er bei der Begrüßung verkündet, dass Ludwigshafen nächstes Jahr die Müllgebühren senkt, fragt der Nebenmann, ob die Band denn wisse, wo sie überhaupt sei ? Campino macht es später wieder wett, indem er erzählt, dass die `Toten Hosen' in Mannheim immer toll aufgenommen wurden - wie 1979 im Capitol. Auch wenn's die Kapelle damals noch gar nicht gab."

-- Mannheimer Morgen, "An den Weihnachtsmann", 17.12.1998

Nach zwei Zugaben war dann die "Hosen"-Vorstellung zu Ende. Das Publikum, eine bunte Mischung aus Punks, ihrer Jugend nachtrauernden Endzwanzigern, von Tourneemitveranstalter VIVA musikalisch angefixtem Teenager-Nachwuchs und den unvermeidlichen "jung gebliebenen" Familienvätern und -müttern, strömte nach etwas über zwei Stunden solider Punkrock-Unterhaltung erschöpft aber größtenteils sicherlich zufrieden aus der Maimarkthalle. Für Zuspätgekommene hatten Campino und Anhang im übrigen ungefähr in der Mitte des Sets eine Zusammenfassung des bisherigen Geschehens gegeben - was auch das kurze Anspielen der wichtigsten bisher zu Gehör gebrachten Songs beinhaltete. Eine witzige Idee und sicherlich einer der Höhepunkte des Abends. Darüber hinaus hatten die "Hosen" glücklicherweise den "Rote Rosen"-"Gag" nicht überstrapaziert, sondern sich auf ihre ureigenen Fähigkeiten besonnen. Dazu gehört auch, dass die ganze Veranstaltung absolut massengeschmackskompatibel war und die Tabuverletzungen, zumindest sofern sie als solche gedacht gewesen sein mögen, auf dem Niveau harmloser Pennälerstreiche blieben - vor so verstandenem Punk braucht niemand Angst zu haben. Lediglich in musikalischer Hinsicht erfüllten die "Toten Hosen" die Genreanforderungen ziemlich gut. Unbeleckt von besonderem technischen Können bestach das Spiel der Punkrocker vor allem durch viel Einsatz, Herz und Leidenschaft. So blieb ein kurzweiliger Abend, den man vor allem hervorragend zum Abreagieren überschüssiger Energien nutzen konnte. Das ganze ähnelte einem Fast-Food-Menü: kurzzeitiger, anspruchsloser Genuß, der nicht richtig satt macht, in Massen genoßen zudem leicht zu Übelkeit und Überdruß führen kann.

(c) 1999 by Andreas Neumann

"Wirklich böse aber waren `Die Toten Hosen' noch selten, wirklich lustig sind sie nun eben auch als `Die Roten Rosen' nicht. Eher unfreiwillig komisch. So wie der müde Mode-Punk mit seinem Feierabend-Irokesenschnitt, der sich mit einem Hosen-Konzert zumindest das Saunaticket spart. In Wahrheit aber sind die politisch korrekten `Toten Hosen' eben längst eine enorm erfolgreiche Hitparaden-Band, die sich auch nicht entblödet, für Sat 1 in `ran' den Pausenclown zur Fußball-Bundesliga zu mimen."
-- Stuttgarter Nachrichten, "Selten wirklich böse", 21.12.1998

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