Genre | : | Denkspiel | Vertriebsform | : | kommerziell |
Hersteller | : | Frank Otto | Preis | : | 39.95 DM |
Vertrieb | : | APC&TCP, Andreas Magerl, Postfach 59, 83236 Übersee |
Großer Erfolg eines Computerspiels bedeutet großen Umsatz für den Vertrieb. Und ein großer Umsatz schafft eine starke Motivation, den großen Erfolg zu wiederholen. Dieser einfache Mechanismus hat uns bereits zu C64-Zeiten Klassiker wie "Summer Gammes II" beschert und er wird uns, glaubt man den Ankündigungen, in absehbarer Zukunft nun doch noch zu einer Amiga-Version von "Siedler II" verhelfen. Große Namen, große Erfolge. So gar nicht in diese Reihe will da ein zweifelsohne putziges Denkspiel passen, das der Überseer Computerclub und -vertrieb APC&TCP bereits vor vielen Jahren als Low-Cost-Produkt veröffentlicht hatte: "Marblelous" besaß ein einfaches Spielprinzip, durchaus hohen Suchtfaktor, aber eben auch eine schlichte Grafik und praktisch keinerlei Abwechslung - nichts, was man nicht auch auf Freeware-Basis bekommen hätte, zumal damals der Meister aller Denkspiele, Peter Händel, noch aktiv für den Amiga programmierte. Und so hielt sich auch der kommerzielle Erfolg von "Marblelous" in Grenzen, schon bald wurde das Spiel auf einer CD-ROM des APC&TCP zweitverwertet. Um so verblüffender ist, dass der bayerische Softwareversand Ende 1998 mit "Marblelous II" einen Nachfolger auflegte - rührender Anachronismus oder die Rennaissance der Denkspiele in Zeiten aufwendiger 3D-Grafiken und Quicktime-Animationen ?
"Marblelous II" benötigt anders als sein Vorgänger zwei Disketten. Die deutschsprachige Anleitung befindet sich sowohl im AmigaGuide-Format als auch als ASCII-Datei auf der zweiten Diskette. Für eine englischsprachige Übersetzung existieren zwar entsprechende Icons, die zugehörigen Dateien sind jedoch auf der vorliegenden Testversion nur zwei Byte groß und von daher wertlos. Das Spiel selbst liegt in drei Versionen vor. Zum einen ist da die ECS-Fassung, die auf wirklich jedem Amiga mit mindestens 1 MByte RAM laufen sollte. Sie kann jedoch nur mit nicht mehr zeitgemäßen 32-Farben-LowRes-Grafiken aufwarten. Und zum anderen gibt es zwei Versionen, die optisch in 256 Farbtönen brillieren. Der Unterschied zwischen diesen beiden Programmfassungen liegt darin, dass die eine das AGA-Chipset nutzt, während die andere speziell für Grafikkarten geschrieben wurde. Interessanterweise führte das zu einem Verlust an optischer Information. Frank Otto, der Programmierer von "Marblelous II", formuliert dazu lapidar:
"Alles was man [für eine Grafikkarten-Version] machen muss, wenn das Spiel nicht 100% aus Assembler-Code besteht (wer macht das schon ?), sind ein paar simple Anpassungen wie sämtliche Copper- (die so schöne Farbverläufe erzeugen) und Sprite-Befehle zu entfernen."
All diese Besonderheiten berücksichtigt das sehr anwenderfreundlich gelungene Installer-Skript, mit welchem man "Marblelous II" auf Festplatte bannen kann. Dies war beim Vorgänger nicht möglich. Direkt von Diskette läßt sich diesmal nur die ECS-Version spielen, was ein sinnvoller Kompromiß zwischen einer Stand-Alone- und einer eine Festplatteninstallation voraussetzenden Distribution ist. Als besonderen Bonus erhält man, entscheidet man sich für die Installation, auch noch einen einfachen, aber mehr als nur ausreichenden Editor, mit dem man auf intuitive Weise neue "Marblelous II"-Runden erstellen oder schon vorhandene modifzieren kann. Das Spiel selbst begrüßt den erwartungsvollen Gehirnakrobaten nach der kurzen Einblendung des unvermeidlichen "APC&TCP"-Logos mit einem stimmungsvollen Titelbild von Michael Zimmer, über das dann das Hauptmenü gelegt wird. Hier kann man durch Eingabe eines Paßwortes gleich in einer höheren Runde beginnen, einen Blick auf die erfreulicherweise automatisch abgespeicherten Highscores werfen (sofern man sie trotz der ungünstigen Farbgebung erkennen kann), das Spiel sauber und systemkonform beenden, die ansonsten stets im Hintergrund mitlaufende Musik deaktivieren - und sich natürlich auch ins eigentliche Spielgeschehen stürzen. Dieses läuft in insgesamt 100 Runden (sowie einem versteckten Bonus-Level) ab, denen jeweils ein kurzer Programmsatz vorweggestellt ist (z.B. "Collect what you need"). Im Spiel selbst besteht der Bildschirm dann aus mehreren Teilen. Ganz oben befindet sich eine Statuszeile, in der etwa ein gelegentlich gegebenes Zeitlimit sowie natürlich auch die Nummer der gegenwärtigen Runde und die Zahl der noch vorhandenen Leben angezeigt wird. Den Hauptteil des Bildschirmes nimmt aber das Spielfeld ein - ohne dass dieses darüber hinausgeht, auf Scrolling wird also völlig verzichtet. Die Szenerie basiert auf quadratischen Feldern, die verschiedene Funktionen erfüllen können. Sinn bekommt das ganze natürlich erst, wenn man weiss, worum es überhaupt geht: Aufgabe des Spielers ist es, bis zu drei Kugeln so zu steuern, dass sie nicht nur den Weg ins Ziel finden, sondern darüber hinaus auch eine vorgegebene Anzahl von "Poweritems" durch einfaches Überfahren aufnehmen. Die Kugeln beginnen entweder sofort mit Rundenstart oder ausgelöst durch bestimmte Aktionen des Spielers, loszurollen - und spätestens nun muss man handeln, will man nicht riskieren, dass eine Kugel durch Zusammenstoss mit einer Wand zerstört wird und damit ein Leben verloren geht. Dummerweise kann man den Weg der Kugeln nicht unmittelbar beeinflussen, sondern ist darauf beschränkt, sogenannte Richtungspfeile und Stoppfelder zu setzen. Dies geschieht durch einen Mausklick auf die Stelle, auf die der Pfeil oder das Stoppfeld gesetzt werden soll. (Obskurerweise kann man so auch Richtungspfeile und Stoppfelder auf Bildelemente setzen, auf die die Kugeln per definitionem gar nicht rollen kann (z.B. Mauern).) Bewegt man dabei die Maus in eine Richtung, so wird ein entsprechender Richtungspfeil gesetzt, der die Kugel, so sie denn über dieses Feld rollt, in die gewünschte Richtung umlenkt. Hält man jedoch den Mauszeiger still, so wird ein Stoppfeld erzeugt. Erreicht die Kugel ein solches, hält sie in ihrem Lauf inne und gibt dem Spieler zum Beispiel Gelegenheit, sich eine Spielsituation noch einmal in aller Ruhe anzusehen, oder auf das Verschwinden eines periodisch auftauchenden Hindernisses zu warten. Gleichzeitig verringert sich jedoch am rechten Bildschirmrand, an dem des weiteren Informationen über die im Spiel befindlichen Kugeln und die noch aufzunehmenden Poweritems abzulesen sind, die Anzeige der vorhandenen "Stoppzeit". Ist diese gänzlich abgelaufen, so haben Stoppfelder keinerlei Wirkung mehr auf die Kugel. Das alles würde "Marblelous II" noch nicht zu dem kniffligen Denkspiel machen, welches es ist. Hinzu kommen aber zahlreiche Hindernisse und Extras, denen der Spieler mit viel Übersicht und einem gerüttelt Maß an abstraktem Vorstellungsvermögen begegnen sollte, will er eine Runde erfolgreich absolvieren. Während "EnergyUp"-Felder die Stoppzeit wieder zurücksetzen und "Warp"-Felder den Spieler gar gleich in die nächste Runde befördern, gibt es "Farbbarrieren", die nur von Kugeln in einer bestimmten Farbe passiert werden können, und Bruchstellen im Boden, die sich nach wiederholtem Überfahren zu tödlichen Löchern ausweiten. Und das sind nur einige Beispiele. Zwar kennt man fast alle Elemente schon aus der ersten "Marblelous"-Version. Ein paar Kleinigkeiten sind jedoch neu hinzugekommen, wobei insbesondere die "graue Kugel" Erwähnung verdient, die in manchen Runden in direkte Konkurrenz zu den eigenen Kugeln tritt, und die es zu vernichten gilt, bevor sie durch Aufsammeln eines benötigten Poweritems oder eine Kamikaze-Kollision das Bestehen der Runde vereiteln kann. Von "Marblelous" übernommen wurde hingegen (bedauerlicherweise) die ungewöhnliche Tastaturbelegung. Dass die Leertaste eine Spielpause herbeiführt, mag man noch akzeptieren. Dass aber die Eingabetaste zur Beendigung des momentanen Lebens und die Escape-Taste unmittelbar ohne Sicherheitsabfrage zurück ins Hauptmenü führt, ist doch eher eigenwillig und nur bedingt sinnvoll. Auf eines ist aber auch bei diesem APC&TCP-Produkt Verlass: Die Anleitung bereitet dem der Rechtschreibung kundigen Leser wieder reichlich Anlass zur (Schaden)Freude:
"Das Programm ist Urheberrechtlich geschützt. Es darf nicht kompiert werden!"
Frank Otto hat sich mit "Marblelous II" wirklich Mühe gegeben und unter Beweis gestellt, dass er über viele Talente verfügt. Leider bleibt aber auch er von der Erkenntnis nicht verschont, dass man ein professionelles Software-Produkt schon seit langem nicht mehr alleine auf die Beine stellen kann. Ohne die Mitwirkung von Spezialisten läßt es sich nicht vermeiden, dass zu vieles halbfertig, unausgegoren und amateurhaft wirkt. Und genau darunter hat "Marblelous II" zu leiden. Obendrein hat die Arbeit an dem Spiel bereits 1996 begonnen - und das merkt man deutlich. Die Grafik wäre sogar schon vor fünf Jahren nur noch Durchschnitt gewesen - im Freeware-Bereich. Der Sound, zu dem auch Rafael Biermann einen kleinen Beitrag geleistet hat, ist solide, ja, die Titelmusik sogar sehr hörenswert, aber letzten Endes alles andere als sensationell. Das Spielprinzip ist simpel und, da seit "Marblelous" kaum modifziert, veraltet. Und das Leveldesign nimmt zu wenig Rücksicht auf Spieler, die erst in das Spielgeschehen hineingeführt werden möchten - bei "Marblelous II" geht es nach einer einzigen Idiotenrunde schon in Level 2 richtig knifflig los. Angesichts von wie beim Vorgänger insgesamt 100 mitgelieferten Runden wäre hier eine eher schrittweise Steigerung des Schwierigkeitesgrades wohl durchaus möglich gewesen. Ja, selbst der Kopierschutz verströmt den bei einem Verkaufspreis von fast 40 DM nicht wirklich berauschenden Charme des Amateurhaften. Laut Anleitung (und Installer-Meldung) befindet sich eine Datei auf den Disketten, welche eine individuelle Seriennummer enthält und über die daher die Identifizierung des Urhebers einer entdeckten Raubkopie ermöglicht werden soll - ob das File mit dem Namen "Nr" und einer Länge von 9 Bytes etwas damit zu tun haben könnte ? Dass selbst die primäre (Redirect-)URL der Support-WWW-Seite nur wenige Wochen nach Veröffentlichung des Spieles ungültig wurde, passt da ins Bild. (Die eigentliche Geocities-URL, die jedoch nur ersatzweise empfohlen wurde, funktioniert allerdings nach wie vor.) Doch der Mangel an Professionalität kumuliert in der Grafikkartenversion, von der Frank Otto stolz berichtet, dass er sie in etwa sechs Stunden programmiert habe. Auf dem Testsystem verursachte sie schon beim Starten - im Gegensatz zu den ECS-/AGA-Versionen - den ersten illegalen Speicherzugriff. Im Spiel selbst traten dann zahlreiche Grafikfehler auf, das Fadenkreuz, mit dem die Richtungspfeile positioniert werden können, war nicht vorhanden, und auch die Steuerung funktionierte nicht mehr richtig, da sich "Marblelous II" nur mehr schwer von der Richtung, in die ein Pfeil weisen sollte, überzeugen ließ. Dem Aufruf des Programmierers an "alle Amiga-Spiele-Programmierer": "Unterstützt endlich Grafikkarten !" möchte man hinzufügen: "Aber bitte nicht so !"