Lifestyle

Clive Nolan & Oliver Wakeman: Jabberwocky

Plattenlabel : Verglas Music Genre : Progressiv-Rock
Spieldauer : 53:42 min Preis : ca. 30 DM

Gemeinsame Vorbilder verbinden. In verstärktem Maße gilt das sicherlich, wenn des einen Vorbild des anderen Vater ist. Und so nimmt es nicht wunder, dass sich Clive Nolan ("Arena", "Pendragon", etc.), als Keyboarder zwangsläufig begeistert von Rick Wakeman, der bei "Yes" schon vor zwanzig Jahren die Bedeutung der Tasteninstrumente für die progressive Rockmusik neu definierte, und Wakemans Sohn Oliver, der inzwischen mit seinem Debutalbum "Heaven's Isle" in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist, von Anfang an blendend verstanden. Schon bald beschlossen sie, doch einmal ein gemeinsames Projekt auf die Beine zu stellen, überlegten dies, zogen jenes in Betracht - und landeten schlußendlich beim "Jabberwocky", einer von Lews Carroll (1832-1898) geschaffenen Figur eines Monsters, das in den Wäldern haust und jeden tötet, der sein Gebiet überschreiten möchte. Cineasten ist die Gestalt vielleicht aus Terry Gilliams gleichnamigem Film mit Michael Palin in der Rolle des Monsterbezwingers wider Willen bekannt. Ungewöhnlicherweise engagierten Wakeman und Nolan zunächst einen Künstler für die Gestaltung des CD-Covers (Rodney Matthews) und machten sich erst dann daran, das Album selbst zu schreiben. Da sowohl Clive Nolan als auch Oliver Wakeman viel mit anderen Projekten zu tun hatten, zog sich dieser kreative Prozeß über einen längeren Zeitraum hin und erst Ende 1997 waren die grundlegenden Arrangements für 55 Minuten Musik fertiggestellt. Nun rekrutierten die beiden Tastenkünstler die Sänger und Musiker, die an "Jabberwocky" mitwirken sollten, von Mai bis August 1998 konnte das Album schließlich eingespielt werden und im Januar des Folgejahres wurde es offiziell veröffentlicht. Ein Monstermärchen am Ende des Millenniums ? Geht das ?

Die CD beginnt mit dem Geräusch des durch die Blätter der Bäume streichenden Windes und mit der ersten Strophe des Gedichtes vom "Jabberwocky". Auch die weiteren sechs Strophen werden im Verlauf des Albums zwischen und zum Teil sogar in den insgesamt zwölf Stücken sprechend rezitiert, unterbrechen dabei jedoch die Musik nicht etwa störenderweise, sondern sind als passende Überleitung geschickt in das Gesamtkunstwerk eingeflochten. Dann beginnt auch schon die "Overture". Konzeptalben und Ouvertüren sind wieder in - "IQ"s "Subterranea" und "Ayreon"s "Into The Electric Castle" lassen grüßen. Nach einem zweiminütigen furiosen Auftakt setzt der Gesang ein. "The Boy" stellt sich vor, unterbrochen nur von einem lateinisch singenden Chor. Die eigentliche Geschichte startet dann mit der Ankunft des "Boy" in der Stadt, die nahe am Gebiet des Jabberwockys liegt. "Coming To Town" ist ein mitreißendes, treibenes Stück, das nur zwischenzeitlich mit dem ersten Auftritt des "Girl" ein beschaulicheres Tempo einschlägt, danach aber wieder an Fahrt gewinnt und mit einem bombastischen Knall endet. In "Dangerous World" folgt nun der erste Einsatz des "Jabberwock" selbst, der zu mittelalterlich-verspielt klingenden Keyboard-Klängen seine Herausforderer anlockt. Den Konterpunkt setzt erneut das "Girl", das zu einer akustischen Gitarre und einer insgesamt warmer klingenden instrumentalen Begleitung von der Kraft der Liebe singt. Doch am Ende ist es wieder der "Jabberwock", der das Wort ergreift und klar macht, wohin die Reise geht:

"Here my boy ! Come here my boy !
Attempt what so many have tried
Here my boy ! Come here my boy !
This journey will end when you die !"

Mit "The Forest" folgt nun ein weiterer Höhepunkt der CD, der mit den treibenden Bassklängen und den schweren Gitarrenriffs zu Beginn stark "Pink Floyd"s "The Wall" ähnelt und dann nicht zuletzt dank des erneut lateinisch singenden Chores in ein vom militärisch klaren Rhythmus und pathetisch-überhöhten Gestus an Carl Orffs "Oh Fortuna" erinnerndes Stück übergeht. Wieder durchatmen kann man danach bei "A Glimmer Of Light", einer fast ausschließlich von Nolans und Wakemans Keyboards begleiteten sanften Ballade, die wiederum von dem rein instrumentalen Stück "Shadows" abgewechselt wird. Dises ist letzten Endes schlichtweg ein gigantisches Keyboard-Solo mit Schlagzeug- und Synthesizerunterstützung, in dem der Kampf mit dem Jabberwock musikalisch geschildert wird. Ein neuer Charakter wird daraufhin in "Enlightenment" vorgestellt. "The Tree" ist ein Beobachter der Szenerie, der das Geschehen kommentiert und dem "Boy" gut zuredet. Dieser erkennt nun, dass es seine Aufgabe ist, das Monster zu besiegen. Mit "Dancing Water" schließt sich das wohl abwechslungsreichste Stück des Albums an - "Boy", "Girl" und "Jabberwock" versammeln sich hier und halten eine musikalische Zwiesprache: der "Boy" dramatisch-grüblerisch, der "Jabberwock" hinterhältig-verschlagen und das "Girl" romantisch-trällernd. Auch die musikalische Begleitung paßt sich jeweils der Stimmung an. Schließlich endet "Dancing Water" in einem furiosen Finale.

"The Burgundy Rose" gehört nun wieder ganz dem "Boy", der nur gelegentlich durch sanften Chorgesang unterstützt wird. In der beschaulichen Ballade, die musikalisch von der akustischen Gitarre und einigen interessanten Keyboard-Passagen dominiert wird, sammelt sich der Monsterbezwinger in spe und bereitet sich mental auf seine Aufgabe vor. Und so geht es frisch motiviert in "The Mission" an die Beendigung der großen Aufgabe. Zwar handelt es sich auch hierbei um ein nicht instrumentales Stück (der "Boy" ist nach wie vor an der Reihe), doch wird es dank toller Keyboard- und Gitarrensoli und getrieben von einer brillianten Rhythmussektion aus einem meisterhaft schnell gezupften Bass und einem präzisen und unbarmherzigen Schlagzeug gerade auch mit Blick auf die Instrumentierung zum wohl reichhaltigsten und interessantesten Song des Albums. Bedrohlich-finstere Klänge, Schlachtgeräusch und erneut der lateinisch singende Chor leiten daraufhin den vorletzten Titel ein, "Call To Arms". Doch entlang ausufernder Keyboard-Soli gewinnt das Stück dann an Volumen und Tempo und endet in einem harmonischen Duett von "Boy" und "Girl", die sich nun endlich auf immer gefunden haben. Dieses Happy End wird anschließend im rein instrumentalen "Finale" angemessen gefeiert, wobei hier nochmal die wichtigsten Motive des Albums, insbesondere auch aus der "Overture", wieder aufgegriffen werden.

Die Qualität der beteiligten Musiker steht außer Frage - auch wenn bis auf den für sein Tastenspiel mehrfach ausgezeichneten Clive Nolan keiner so richtig zur den großen Namen des Business gehört. Aber alleine dadurch, dass Oliver Wakeman und Clive Nolan schon in der Vergangenheit intensiv mit jeweils etwa der Hälfte der Musiker zusammengearbeitet hatten, ist hier ein hoher Standard garantiert. Dabei gelingt den Keyboardern Nolan und Wakeman das Kunststück, die sonstigen Instrumente nicht zu verdrängen, sondern sie mit ihrem Spiel sinnvoll zu ergänzen. Und so ist "Jabberwocky" nicht das erwartete "Keyboard only"-Album geworden. Vielmehr greifen auch Peter Banks (ehemals in Diensten von "Yes") und Ian Salmon ("Shadowland") mal kräftig in die Saiten ihrer Gitarren, treibt Pete Gee ("Pendragon") mit seinem Bass den Rhythmus voran, zaubert Jon Jeary ("Threshold") sanfte Melodien aus der akustischen Gitarre und sorgt Tony Fernandez (aus der Rick Wakeman-Band) am Schlagzug für den richtigen Takt. Wichtiger noch sind bei diesem Projekt aber die Vokalisten - und hier ist Nolan und Wakeman so mancher Glücksgriff gelungen. Außer Konkurrenz steht dabei natürlich Tracy Hitchings, die Königin des Progressive Rock. Die Leadsängerin von "Landmarq" und den "Strangers on a Train", einem anderen Projekt von und mit Multitalent Clive Nolan, hat mit ihrer klaren Stimme und ihrer Beteiligung an zahlreichen Prog-Rock-Unternehmungen das Bild des weiblichen Gesangs in diesem Genre ganz erheblich mitgeprägt - und das zu Recht, wie sie als "The Girl" auf diesem Album einmal mehr bestätigt. Sehr gut besetzt sind aber auch die anderen drei Singrollen, allen vorweg natürlich "The Boy", gesungen von Bob Catley ("Hard Rain", Ex-"Magnum"). Mit seiner dramatischen Stimme gibt er genauso einen glaubwürdigen männlichen Helden ab, wie auch Paul Allison (Ex-"Sleepwalker") in seiner Rolle als "Tree" überzeugen kann. Etwas störend ist nur, dass Catley und Allison gerade in mittleren Stimmlagen nicht ganz unähnlich klingen, was insbesondere im Stück "Enlightenment" auffällt. Sowohl was seine Biographie als auch was seinen Gesang angeht paßt der vierte im Bunde, James Plumridge, nicht so ganz ins Bild. Anders als seine drei Kollegen ist der Sänger des "Jabberwock" bislang nicht als Vokalist einer Rockband in Erscheinung getreten. Lediglich als Tourmanager stand er bereits in Diensten von Nolans Band "Arena". Plumridges Profession ist vielmehr die eines Schauspielers - bevorzugt in Stücken des großen Shakespeare. Dessen ungeachtet glückt auch dieses Experiment - Plumridge gibt einen herrlich verächtlichen "Jabberwock". Unterstützt werden diese vier Protagonisten von einem Chor, in dem unter anderem Clive Nolan sowie dessen "Arena"-Mitstreiter John Jowitt und John Mitchell mitsingen. Als besonderem Gag ist es Nolan und Oliver Wakeman schließlich gelungen, Rick Wakeman höchstselbst für die CD zu verpflichten - und zwar fern von jedem Keyboard als Erzähler, wozu der "Yes"-Keyboarder dank seiner sonoren Stimme auch nachgerade prädestiniert zu sein scheint.

Nicht zuletzt - aber auch nicht ausschließlich - aufgrund der Beteiligung von Tracy Hitchings und den zum Teil sehr ausgeprägten Keyboard-Passagen erinnert der "Jabberwocky" streckenweise stark an die Musik der "Strangers on a Train". Auch hier ist somit eine gesteigerte Affinität zu ausgeklügelten Keyboard-Passagen erforderlich, will man langfristig Freude an der Musik haben. Auch wenn diese weit mehr bereit hält, kommt dem Tastenspiel natürlich eine gesteigerte Bedeutung zu. Aber auch die Freunde interessanter Texte werden mit dem "Jabberwocky" auf ihre Kosten kommen. Zwar machen es Singrollen immer so gut wie unmöglich, komplexere Texte zu transportieren - und "Jabberwocky" macht da keine Ausnahme. Doch Nolan und Wakeman sind zum einen einige äußerst poetische Formulierungen geglückt. Und zum anderen haben sie Carrolls Geschichte in einen beliebig interpretierbaren Kontext gerückt. Indem die Handlung fast ausschließlich durch Reflektionen der Charaktere über sich selbst und miteinander erzählt wird, muss der Kampf gegen das Monster mitnichten als Kampf gegen ein reales Ungeheuer in den Wäldern verstanden werden. Vielmehr erzählt "Jabberwocky" in einem übergeordneten Sinn von dem Kampf um das Freiwerden von Bedrohungen und Ängsten - "Boy" und "Girl" werden erwachsen.

Erfreulicherweise ist das ganze auch äußerlich sehr ansprechend aufgemacht. Matthews Version des "Jabberwocky" ist ein herrlich obskures Monster, dessen "Zähne knirschen, Krallen kratzen", wie es in einer deutschen Übersetzung des Gedichtes heißt. Und das 16 Seiten starke, liebevoll mittelalterlich angehaucht gestaltete Booklet enthält nicht nur sämtliche Songtexte, sondern auch eine Vorstellung der Besetzung mitsamt kleiner Porträtphotos der zwölf Sänger und Musiker. "Jabberwocky" ist somit ein rundum gelungenes Konzeptalbum. Die Verschmitztheit und den Spaß, mit denen Nolan und Wakeman ihr gemeinsames Projekt verwirklicht haben, erkennt man übrigens auch an der Wahl des Titels. Denn Carrolls "Jabberwocky"-Gedicht stammt aus einem größeren Werk des englischen Dichters. Das heißt "Through the looking Glas" - genau wie das zweite Album von Nolans Band "Shadowland".

(c) 1999 by Andreas Neumann

"I can see that
Our world is turning
But it never
Turns our way"

Zurück