lifestyle

The Opposite Of Sex

von Don Roos
mit Christina Ricci, Martin Donovan, Lisa Kudrow, Lyle Lovett,...
USA 1998, FSK: ab 16

Jeder tut es. Und seit Hans Meiser und Konsorten das Fernsehen zum Medium des Seelen-Striptease transformiert haben, spricht auch jeder darüber. Sex ist längst zu einer öffentlichen Angelegenheit geworden, der sich - mal mehr, mal weniger direkt - in Videoclips, Werbeanzeigen und natürlich auch Kinofilmen bestens zu kommerziellen Zwecken instrumentalisieren läßt. Die moralinsauren Hüter der vermeintlichen Moral, von Sitte und Anstand sind schon längst auf dem Rückzug, nur in den Vereinigten Staaten schützen sie braven Bürger noch davor, statt von amoklaufenden Waffenbesitzern von bloßen Brüsten oder anderen primären Geschlechtsmerkmalen niedergestreckt zu werden. Es ist also höchste Zeit, dass dieser Trend kritisch reflektiert, dass darüber nachgedacht wird, warum ein eigentlich zur Erhaltung der Art dienender biologischer Mechanismus den Menschen so sehr fasziniert, dass sein eigentlicher Zweck nur noch einen verschwindend geringen Anteil seiner tatsächlichen Betätigung rechtfertigen kann. Don Roos hat sich dem Thema angenommen und präsentiert dem mit allen nackten Tatsachen vertrauten Publikum seinen Regieerstling mit dem programmatischen Titel "The Opposite Of Sex". Hauptdarstellerin ist Hollywoods diesjähriges Enfant Terrible, die Schauspielerin Christina Ricci, die in Interviews in schöner Regelmäßigkeit davon berichtet, wie gerne sie ihre Oberweite in die Kamera hält - kein gutes Vorzeichen für eine Generalabrechnung mit der Leinwandherrschaft der schlüpfrigen Tatsachen.

Dedee Truitt (Christina Ricci) ist ein sechzehnjähriges Miststück. Den Tod ihres verhaßten Stiefvaters nimmt sie zum Anlaß, aus ihrer Heimat in Louisiana zu ihrem Halbbruder nach Indiana zu flüchten. Bill (Martin Donovan) ist das genau Gegenteil seiner Schwester. Als Englisch-Lehrer macht er die Schüler der High School, die er dabei erwischt, wie sie Parolen über ihn an die Wände des Waschraums schmieren, keinen Ärger sondern gibt ihnen stattdessen Hinweise zum korrekten Gebrauch der Grammatik. Was ihn jedoch von einem ganz normalen "Verlierer" (so Dedee über Menschen, die nicht so abgebrüht sind wie sie selbst) unterscheidet, ist ironischerweise eine der wenigen Gemeinsamkeiten, die zwischen den Halbgeschwistern besteht. Wie Dedee vergnügt sich nämlich auch Bill im Bett (oder an einem anderem beischlaftauglichen Ort) gerne mit Männern. Und anders als man es im prüden Amerika erwarten könnte, hat er gesellschaftlich (zumindest zunächst) nicht darunter zu leiden, dass er schwul ist. Vielmehr hat ihm sein langjähriger Lebenspartner Tom, ein jüngst an AIDS verstorbener Börsenmakler, sein nicht unerhebliches Vermögen einschließlich eines luxuriösen Hauses hinterlassen, was Bill bei aller nach wie vor nicht verarbeiteter Trauer über den Tod des Freundes ein angenehmes Leben ermöglicht. In dieses platzt nun das Unglück in Gestalt Dedees hinen, die mit einer frei erfundenen Geschichte an das überreichlich vorhandene Mitgefühl ihres Halbbruders appelliert und sich so ein vorübergehendes Bleiberecht in dessen Haus sichert. Dort lebt - noch - auch Matt Mateo (Ivan Sergei), ein leicht unterbelichteter Beau, mit dem sich Bill über den Verlust Toms hinwegzutrösten versucht. Während Bill tagsüber seiner Arbeit im Klassenzimmer nachgeht, widmet sich seiner Schwester nun einer ganz anderen Art der (Um)Erziehung. Mit vollem Körpereinsatz versucht sie, Matt zu der Erkenntnis zu verhelfen, dass er in Wirklichkeit doch lieber mit Frauen das Laken teilt. Und es kommt, wie es kommen muss - Matt betrügt Bill mit dessen Halbschwester. Um dem ganzen die Krone aufzusetzen, eröffnet sie ihm schon kurze Zeit später, dass sie schwanger ist (was stimmt) und dass er der wenn nicht unbedingt stolze so doch jedenfalls überraschte Vater sei (was durchaus bezweifelt werden darf). Bill zeigt sich darob, was nun wiederum nicht wirklich überraschend ist, wenig begeistert und findet in Lucia Delury (Lisa Kudrow), der Bill in heimlicher Liebe und offene Anhänglichkeit zugetanen Schwester des "toten Typen" (Dedee über Tom), die gleichzeitig eine Arbeitskollegin Bills ist, eine gleichsam empörte Unterstützerin. Bevor sie nicht mehr erwünscht ist, ergreift Dedee die Initiative und setzt sich nach L.A. ab - mitsamt Matt, 10.000 Dollar aus Bills Sparstrumpf und der Urne mit der Asche Toms. Das alleine bringt Bill nicht auf die Palme sondern stürzt ihn nur in (allerdings nicht allzu schlimme) Depressionen. Erst als dann Jason (Johnny Galecki), ein affektierter junger Geck, mit dem Matt Bill (auch noch) betrog, auf den Plan tritt, ändert sich das. Denn Jason macht Bill für das Verschwinden Matts verantwortlich und behauptet öffentlich, um sich an Bill rächen, dass dieser ihn in seiner Funktion als Lehrer sexuell verführt habe. Dem urplötzlich zur Zielscheibe der Medien mutierten Pechvogel Bill bleibt nun nichts anderes übrig, als sich auf die Suche nach Dedee und Matt zu machen, damit dieser Jason dazu bringt, seine Vorwürfe zu widerrufen. Dabei steht ihm natürlich Lucia treu zur Seite. Und auch der wunderliche Sheriff Carl Tippett (Lyle Lovett), der zu allem Überfluß ein Auge auf Lucia geworfen hat, ist der Wahrheit und den Flüchtenden auf den Fersen.

Here's the plot: Christina Ricci is Dedee Truitt, a 16 year old package of trouble with a highly developed wit (which she is not afraid to use), a highly developed body (ditto), and a completely underdeveloped sense of morals and ethics.

-- Michael Elliott, "The Christian Critic"

"The Opposite Of Sex" basiert - die Unmöglichkeit, den Plot in wenigen Zeilen zusammenzufassen, zeigt es - auf einer durchaus verworrenen Geschichte. Da trifft es sich gut, dass Don Roos den Zuschauer nicht alleine und Dedee als Erzählerin das Geschehen auf dem Bildschirm kommentieren läßt und dem Kinobesucher so zu einer gewissen Orientierung im Chaos der Gefühle und Beziehungen verhilft. Dabei spielen ihre mit zitatwürdigen Einzeilern nur so gespickten Kommentare frech mit der dem Medium eigenen Erwartungshaltung und verdecken, dass Hauptfigur des Filmes eigentlich der schicksalsgeprüfte Bill ist. Er ist der Protagonist, der Fixstern, um den sich Dedee, Lucia und Matt drehen. Und anders als Dedee, die sich auf einem hemmungslosen Ego-Trip befindet, einem "McDonald-Hedonismus", wie es Pia Horlacher von Der Neue Zürcher Zeitung nennt, anhängt, ist Bill eine für diesen wunderbar zynischen Film erstaunlich moralische Figur. Roos, der vorher u. a. das Drehbuch für den Film "Kaffee, Milch und Zucker" geschrieben hat, hat einen letzten Endes seltsamen Film geschaffen, der so recht in kein Genre passen will und vielleicht gerade deswegen sehr reizvoll ist. Keiner der Filmcharaktere taugt so recht zur Identifikation für den Zuschauer. Und dennoch gelingt es Roos, dass man sich für das Schicksal dieser Außenseiter und sozial Beschädigten interessiert. Dass der Film gegen Ende seine Längen hat, soll dabei nicht verschwiegen werden - genausowenig wie der Eindruck, dass eines der Hauptziele dieses Filmprojektes darin besteht, mehr gleichgeschlechtliche Beziehungen zu präsentieren als sämtliche Hollywood-Filme des Vorjahres zusammen, was auf Dauer ebenfalls ein wenig ermüdend ist.

"Sex always ends in kids or disease or like, you know, relationships."

-- Christina Ricci als Dedee Truitt

Dass "The Opposite Of Sex" dennoch das Gegenteil einer langweiligen Beziehungskomöde oder -tragödie (als ob sich das heutzutage überhaupt noch unterscheiden ließe !) geworden ist, verdankt Don Roos aber in erster Linie auch gar nicht dem selbstverfaßten Drehbuch. Es sind vielmehr die Schauspieler, die den Film zu einer der erfreulichsten Überraschungen dieses Kinosommers machen. Natürlich fällt, aus zwei offensichtlichen Gründen, zuallererst Christina Ricci auf, die ihre Zeit als familienunterhaltungskompatible Mädchendarstellerin ("Addams Family", "Caspar") neuerdings mit Hilfe eines radikalen Kurswechsels und aller Macht vergessen machen will. Sie gibt das Biest Dedee Truitt als wahre "Lolita from hell" (G. Allen Johnson, San Francisco Examiner), bzw., Assoziationen zur Protagonistin des Nabokow-Romans scheinen unausweichlich, als eine durchgeknallte "Lolita on steroids" (Steve Rhodes), die den US-Kritikerpapst Roger Ebert in bescheidener Untertreibung zu der Mutmaßung veranlaßte, der Vorname der Filmfigur müsse mit ihrer BH-Größe zu tun haben. Wie Christina Ricci mal kalt lächelnd die unwiderstehliche Verführerin gibt und dann wieder als Musterexemplar des "White Trash" schimpfend ihre Umgebung tyrannisiert, ist ein herrlich-böser Spaß. Ganz anders Martin Donovan, der als Dedees Bruder Bill vor allem für die ruhigen Zwischentöne, für melancholische Mimik zuständig ist. Dabei bleibt er, obwohl als zentrale Figur des Filmes angelegt, ähnlich blaß wie Ivan Sergej, der den Matt zwar ähnlich souverän verkörpert wie Donovan dessen Lebensgefährten Bill, wie dieser jedoch darunter leidet, dass das Drehbuch beiden weitaus schillerndere und amüsantere Charaktere entgegengesetzt hat. Als solcher wäre - neben Dedee natürlich - nicht nur Lyle Lovetts schrulliger Sheriff Tippett zu nennen, der dem Geschlechtsakt ganz eigene philosophische Erkenntnisse abgewinnt und dessen Rolle man sich durchaus ein wenig umfangreicher vorgestellt hätte. Brilliant ist vor allem auch, und das ist die eigentliche Überraschung dieses Filmes, Lisa Kudrow, die bis dato primär durch ihre Rolle in der Erfolgs-Sitcom "Friends" (vgl. "AmigaGadget"#26) und Auftritte in fragwürdigen Hollywood-Comedy-Machwerken aufgefallen ist. Zwar kann sie auch in "The Opposite Of Sex" nicht immer den Eindruck verdrängen, die durchgeknallte Phoebe habe sich vom Fernsehschirm auf die Kinoleinwand verirrt. Wenn sie jedoch nicht gerade wild mit den Haenden fuchtelt und dem Kopf wackelt, gelingt Lisa Kudrow eine eindrucksvolle schauspielerische Leistung, indem sie eine vom Leben frustrierte, zutiefst unglückliche Frau glaubwürdig verkörpert, die andererseits dennoch die Figur mit den meisten komischen Szenen des Filmes ist. Obwohl sie das völlige Gegenstück zum Luder Dedee zu sein scheint, ist Kudrows Lucia nicht minder gerissen als ihre jugendliche Gegenspielerin. Und was trockene Kommentare angeht, kann der altjüngferlichen Lehrerin ohnehin kein anderer Charakter des Filmes das Wasser reichen. Viel vom Gegenteil von Sex bekommt man während des Films nicht zu sehen. Aber dennoch (oder vielleicht auch deswegen) ist das ganze ein großer Spaß.

(c) 1999 by Andreas Neumann

"You've got a death wish. That's so selfish. I have one too, but I direct it toward others."

-- Lisa Kudrow als Lucia Delury

Zurück