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Hobbit: Two Feet Tall

Plattenlabel : Midwest Records (Hersteller) Genre : Fantasy Rock
Spieldauer : 50:21 min Preis : 10 US-Dollar

Dass sich die Veröffentlichung eines Albums verzögert, ist nichts Ungewöhnliches. So wurde etwa "Jethro Tull"s letztes Studioalbum "j-tull dot com" (Rezension in "AmigaGadget"#42) von der Plattenfirma aus strategischen Gründen gut ein Jahr auf Eis gelegt. Doch Fälle, in denen eine Veröffentlichung erst mit fast zwanzig Jahren Verspätung erfolgt, dürften eher selten sein. Passiert ist dies einer Rockband, die sich um das Jahr 1980 herum im Süden der Vereinigten Staaten einer gewissen Popularität erfreute und auch mit verschiedenen Songs von lokalen Radiosendern nicht unerhebliches Airplay erhielten. Doch der Durchbruch blieb "Hobbit", wie sich die Formation in Anlehnung an das zwergenhafte Wesen aus den Romanen von J. R. R. Tolkien nannte, versagt. Anders als die britischen Kollegen von "Marillion", deren Bandname ebenfalls auf Tolkien, bzw. dessen Werk "Silmarillion" zurückgeht, gelang es "Hobbit" nicht, einen Plattenvertrag für ein Album zu ergattern. Statt dessen verzettelte sich ihr Management in juristische Streitigkeiten und die Band musste sich mit einigen Single-Veröffentlichungen und ihrer Rolle als beliebte Vorgruppe für bekanntere Interpreten wie "Cheap Trick" oder "Quiet Riot" begnügen. Doch nun haben die vier Musiker endlich die Kontrolle über ihr Song-Material zurückerhalten und prompt ihr Debütalbum veröffentlicht - im Selbstverlag. Und "Two Feet Tall" enthält nicht nur zwanzig Jahre alte Stücke, es ist überdies auch lediglich über den Internet-Versandhandel, namentlich den rührigen CD-Distributor "CD-Baby" zu beziehen und wird nur auf diesem Wege vermarktet. Unwahrscheinlich, dass bei solchen Rahmenbedingungen das Ergebnis den Ansprüchen eines verwöhnten Musikpublikums gerecht werden kann.

Der Opener "Midyear's Eve" legt gleich bombastisch los - und ein schnelles Tempo vor. Doch als nach dem fulminanten Intro Gene Fields zu singen beginnt, reibt sich der Hörer erstmal verblüfft die Ohren. Sollten wir es mit einer verschollenen Aufnahme der britischen Prog-Rock-Opas von "Yes" zu tun haben ? Nicht nur, dass "Midyear's Eve" an manchen Stellen dem "Tormato"-Album entnommen sein könnte, Fields klingt auch noch nachgerade erschreckend wie "Yes"-Frontmann Jon Anderson. Doch im Gegensatz zu dessen nervtötendem Gesang wird Fields Organ hervorragend in die Musik eingebunden. Und im Zusammenspiel mit Richard Hills jaulender E-Gitarre entsteht so ein sehr reizvolles Klangbild. Besonders nett ist neben einem eingestreuten (und einmal wiederholten) Satz ("And best of all, it's free !"), der so klingt, als habe ihn tatsächlich ein zwei Fuß großer Hobbit ins Mikrophon gesprochen, schließlich eine kleine orchestral instrumentiere Wiederaufnahme der musikalischen Motive, nachdem der Song bereits beendet zu sein scheint. Dabei hört man überdies noch im Hintergrund ein leises Stimmengewirr, wie man es sich auch in einer Hobbit-Höhle vorstellen würde. Alles in allem ist "Midyear's Eve" ein Auftakt nach Maß, den im Folgenden zu übertreffen man einer praktisch unbekannten Band nicht zutrauen würde. Doch "Hobbit" gelingt genau dies - und zwar bereits mit dem zweiten Stück, dem Titelsong "Two Feet Tall". Deutlich gitarrenlastiger als der Opener und noch ein Stückchen schneller geht hier die Post ab. Versehen mit Live-Atmosphäre vorgaukelnden Overdubs und angetrieben von einer präzise arbeitenden Rhythmussektion hat "Two Feet Tall" alles, was ein echter Rocksong braucht, einschließlich eines eingängigen Refrains. Großartig !

Dass "Hobbit" auch die gefühlvollen Zwischentöne beherrschen, zeigen sie nun mit der sanften Ballade "Love Is Forever", bei der Schlagzeuger Keith Young und Bassist Paul "Turk" Henry für den Hintergrundgesang sorgen dürfen. Erneut beweist Gitarrist Hill seine Fähigkeiten, wenngleich er diesmal seiner Klampfe primär melodiöse Töne entlocken darf, wenn er nicht gleichzeitig in seiner Eigenschaft als Keyboarder der Band leicht "spacig" klingende Harmonien in den Fluß der Melodie streut. Mit einer munteren Up-Tempo-Nummer begeben sich "Hobbit" dann wieder in bekannteres Fahrwasser zurück. Der erneut mehrstimmig gesungene Refrain, eine eher einfache Melodie und Youngs treibendes Schlagzeug stehen für höchstes Ohrwurm-Potential, wobei als musikalische Besonderheiten ein herrlich exzessives Keyboard-Solo von Richard Hill sowie die wieder einmal eingestreuten Hobbit-Worte und das obskure Ende, mit dem "Up And Down" ausklingt, zu nennen wären.

Es folgt einer der besten Songs des Albums. Das 1980 komponierte "Intensity" beginnt dabei noch ganz harmlos, mit schmeichelnden Geigen und ruhigen Gesangspassagen, in denen Fields weniger wie Jon denn wie Ian Anderson klingt. Doch dann greift Richard Hill in die Saiten und "Intensity" wird zu einer stampfenden Hard-Rock-Nummer mit tollen Gitarrenriffs, abwechslungsreichem Gesang, einem hymnenhaften Refrain, immer wieder einsetzender orchestraler Begleitung und fast sieben Minuten Spieldauer. Wenn ein Wort dieses "Intensity" angemessen umschreibt, so ist es vielleicht wirklich: Intensität. Etwas langsamer geht es nun mit dem "Hobbit"-Beitrag zum alle Jahre wieder virulenten Thema Weihnachts-Song weiter. Doch der 1983 geschriebene "Christmas Song" ist eine völlig eigenständige Komposition, die etwas textlastiger ist als der Rest des "Two Feet Tall"-Materials, aber nicht weniger faszinierend. Mehrstimmiger Gesang, eine geradezu liebevolle Instrumentierung und eine harmonische, aber nicht süßliche Melodie zeichnen diesen Weihnachtsgruß "from the Hobbit family" aus.

Ein beinahe an Johann Sebastian Bach gemahnendes Keyboard-Intro eröffnet das folgende "The Way We Are". Doch statt in Orgelorgien auszuarten, entwickelt sich das Stück zu einem soliden Up-Tempo-Rocker, den erneut ein eingängiger Refrain und gelungene Gitarrenriffs auszeichnen, bei dem die "Hobbit"-Musiker aber auch Mut zur Disharmonie beweisen - und damit auf ganzer Linie obsiegen. "The Way We Are" ist eines der düstersten Stücke des Albums, aber deswegen nicht minder faszinierend. Wieder mehr in Richtung "Adult (oder Album) Oriented Rock" orientieren sich "Hobbit" dann mit "Takin' Your Heart Away". Das ganze klingt ein wenig wie eine Mischung aus "Asia" und "Foreigner" - solide, aber nicht über die Maßen begeisternd. Lediglich Richard Hill darf erneut seiner E-Gitarre außergewöhnliche Tönen entlocken.

Ein wunderschönes Piano eröffnet nun "Need Your Love", eine herrliche Ballade, welche erneut höchste Radiokompatibilität aufweist und "Toto" oder "Boston" ebenfalls hervorragend zu Gesicht gestanden hätte. "Puppets" ist der Titel des nachfolgende Stückes - und erstmals singt nicht Gene Fields den (leicht obskuren) Text. Statt dessen durfte Paul Henry am Mikrophon die Puppen tanzen lassen und den Beweis erbringen, dass "Hobbit" nicht nur über einen, sondern gleich über zwei hervorragende Sänger verfügt. Dabei ist Henrys Stimme ein wenig rauher und seine Tonlage tiefer als die von Gene Fields, was das ganze noch gleich ein Stückchen reizvoller macht. Aber auch ansonsten kann "Puppets" fesseln. Die äußerst sparsame Instrumentierung schafft eine seltsam gedämpfte Atmosphäre, in der man sich beinahe wie in hypnotischer Starre gefangen fühlt. Wer diese Erfahrung zu unheimlich fand, wird nun mit "Till I Get You Back", erneut gesungen von Paul "Turk" Henry, wieder in die fröhlichere Welt der Up-Tempo-Songs geführt. Mit schon fast an Huey Lewis "News" erinnerndem Schwung legen "Hobbit" los, angeführt von einem Riff-Duell der beiden "Hobbit"-Gitarristen Fields und Young. Das geht so weit, dass Henry sogar gelegentlich ein "Yeah, yeah" ausstoßen darf. Da steppt der Hobbit. Zwei Stücke aus dem Jahre 1979 beschließen dann "Two Feet Tall". "Take Me Tonight" zeigt erneut die enormen Hitqualitäten der "Hobbit"-Kompositionen. Rhythmus und Refrain sind absolut ohrwurmtauglich und Fields' im Hintergrund munter vor sich hinjaulende E-Gitarre ohnehin über jeden Zweifel erhaben. Wieder etwas düsterer ist dann "Faggots In The Fire", das beinahe wie ein Heavy-Metal-Stück beginnt und sich auch im Folgenden durch ein hohes Tempo, wummernde Schlagzeug- und Bassbegleitung und knallharte Gitarrenriffs auszeichnet. Ein würdiger Abschluss eines Albums, das Ausschnitte aus dem "Hobbit"-Fundus der Jahre 1979-1983 präsentiert und dabei nie den Eindruck erweckt, nur ein lieblos zusammengestückeltes Wiederverwertungs-Potpourri alten Songmaterials zu sein.

Der Aufmachung der CD merkt man hingegen das bescheidene Budget an, wobei der fehlende Abdruck der Songtexte im Booklet aber plausibel mit dem Fehlen eines solchen Booklets begründet werden kann. Der CD-Käufer muss sich vielmehr mit den üblichen Credits und einem kurzen, aber offensichtlich mit viel Herzblut verfassten Text zur Bandgeschichte zufriedengeben. Und auch das Bandfoto auf der Rückseite der CD-Hülle beweist nur, dass Anfang der Achtziger Unterhemden in den Vereinigten Staaten knapp und Brustbehaarung angesagt war. Eine Legende zu dem Foto sucht man vergeblich und auch die Farbkontraste sind eher suboptimal und der Leserlichkeit nicht gerade zuträglich. Das von Steve McKibben und Gary Blevins gestaltete "Two Feet Tall"-Cover, von dem, wenig überraschend, ein kleiner Hobbit lächelt, ist hingegen sehr gut gelungen. Doch alle Äußerlichkeiten können natürlich ein schlechtes Album nicht retten und ein hervorragendes Album nicht nachhaltig beschädigen. Und "Two Feet Tall" spricht, bzw. klingt, wirklich für sich. Henry, Fields, Hill und Young sind nicht nur hervorragende Musiker, die ihre Instrumente im Griff haben und auch auf den Studio-Aufnahmen den Esprit erkennen lassen, der ihre Bühnen-Auftritte Augen- und Ohrenzeugenberichten zufolge zu unvergeßlichen Ereignissen machte. Die "Two Feet Tall"-Stücke beweisen überdies auch das außerordentliche Talent der Komponisten Fields, Hill und Henry. Hörbar beeinflusst von Rockmusik-Größen der Siebziger Jahre wie "Kansas", "Jethro Tull" oder "Styx" gelang den Texanern eine packende Mischung aus "Yes" und "Kansas", die die artifizielle Verspieltheit des britischen Progressiv-Rock durch die geradlinigeren Rhythmen der US-Kollegen ersetzten, ohne dabei wie diese ihre Musik zu eindimensional und eintönig werden zu lassen. "Two Feet Tall" ist vielmehr eine der wenigen Platten, die schon beim ersten Hören zu gefallen wissen, dabei aber dennoch auch langfristig die Entdeckung immer wieder neuer Facetten ermöglichen und nicht langweilig werden - eine unentdeckte Perle der US-amerikanischen Rockmusik.

"Two Feet Tall" ist also ein exzellentes Album, das sich jeder Freund progressiver Rockmusik bedenkenlos gönnen kann und gönnen sollte. Das macht die klanglichen und gestalterischen Schwächen natürlich umso bedauerlicher, der "Hobbit" schreit geradezu nach einer professionelleren Produktion. Das gilt in allen Belangen, von der Klangqualität bis hin zur Aufmachung, wobei am schönsten natürlich eine vollständige Neueinspielung des Albums wäre. Damit ist nun zwar (leider) nicht zu rechnen, alte und neue Freunde des "Hobbit" können aber dennoch frohlocken. Die Band hat noch zahlreiche Songs im Archiv, welches sie, angespornt durch die sehr positive Resonanz auf die "Two Feet Tall"-Veröffentlichung, auch tatsächlich plündern will. Bleibt zu hoffen, dass nichts dazwischen kommt - und die nächste "Hobbit"-Veröffentlichung, die unter dem Titel "Join The Celebration" erscheinen soll, nicht bis 2019 auf sich warten läßt.

(c) 1999 by Andreas Neumann

"Attention Music Lovers: You've been cheated ! Hobbit was the greatest band that ws never signed by a major record label."

-- Jimmy McGonagill im WWW-Forum von "CD Baby"

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