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Dream Theater: Metropolis Pt. 2 - Scenes

Plattenlabel : Elektra Entertainment Genre : Progressive Metal
Spieldauer : 77:12 min Preis : ca. 30 DM

Selten wurde eine Fortsetzung offensichtlicher angekündigt. Als die Musiker der damals weithin unbekannte Progressive Metal-Band "Dream Theater" 1992 ihr zweites Album namens "Images and Words" veröffentlichten, mit dem sie zu den bis heute unangefochtenen Stars der Szene wurden, nannten sie das zentrale Stück dieser CD selbstbewusst "Metropolis Pt. 1", also "Metropolis 1. Teil". Und so wurden seitdem immer wieder Gerüchte um eine Fortsetzung laut, insbesondere nachdem die Folgealben "Awake" und "Falling Into Infinity" bei den Fans auf zwiespältige Reaktionen stießen. Dass die "Dream Theater"-Musiker, die allesamt über ein klassische Musikausbildung verfügen und auch in diversen Soloprojekten nach musikalischer Bestätigung streben, Gefahr liefen, ihren Status als Heroen des Genres zu verlieren, haben sie nach ihrer letzten Welttournee dann wohl auch selbst erkannt und entsprechende Konsequenzen gezogen. Als erstes wurde der Keyboarder Derek Sherinian recht unfreundlich "freigesetzt". Dann wurde mit der Realisierung der "Metropolis"-Fortsetzung begonnen. Geschickt gelang es der Band dabei, mit einem Wechselspiel aus bedeutungsschwangeren Ankündigungen und strikter Geheimhaltung die Erwartungen der Anhängerschaft zu schüren - und so schoss "Metropolis Pt. 2", das den Untertitel "Scenes From A Memory" trägt, nach Erscheinen sogar sofort in die oberen Regionen der ansonsten von progressiver Rockmusik reichlich unbelasteten Verkaufscharts. Doch schon rein äußerlich kommen Zweifel auf, ob hier nicht nur konzeptionell an die Vergangenheit angeknüpft wurde, sondern ob die "Traumtheater"-Musiker nicht vielleicht auch ganz dreist auf bekannte Ideen diverser Musikerkollegen zurückgegriffen haben. Denn die "Scenes From A Memory" ähneln als zweiaktiges Konzeptalbum von der Struktur her verblüffend dem Album "Tyranny", auf dem "Dream Theater"-Sänger James LaBrie sogar einen Gastauftritt hatte (vgl. Rezension in "AmigaGadget"#40). Und auch das Thema und das (ohne Zweifel sehr gelungene) Cover wecken Erinnerungen an einen Meilenstein der progressiven Rockmusik. Die Reise in die Erinnerungen einer Person, welche dann auch prompt den Käufer der CD von deren Cover aus anblickt, war schon das zentrale Thema des bislang besten "Marillion"-Albums "Brave" (vgl. Rezension in "AmigaGadget"#15). Ist also alles, wie es die "Prinzen" fern jeder progressiven Musik frech verkünden, nur geklaut ?

Mit dem Ticken eines Metronoms beginnt "Scene One" - "Regression". Doch bevor es richtig losgeht, hört man zunächst die Stimme des "Hypnotiseurs", wie er den Protagonisten "Nicholas" in den Wachschlaf versetzt. Nur zaghaft setzt dann die akustische Gitarre von John Petrucci ein, während James LaBrie sich selbst sanft in Hypnose singt. Aber dieses zurückhaltende Vorspiel auf der Liege des Hypnotiseurs ist schon bald vorbei, "Scene Two" und die "Overture 1928" erreicht. Und hier dürfen "Dream Theater" so loslegen, wie man es von den Vorzeige-Progressiv-Schwermetallern gewohnt ist - getrieben von dem unbarmherzigen Schlagzeug des wild draufloshämmernden Mike Portnoy und der sich in endlosen Soli ergehenden E-Gitarre Petruccis bietet das knapp vierminütige Instrumental einen wohlfeinen Einblick in die Kunst und Kraft der Band, bevor dann mit dem "Strange Deja Vu" das erste richtige Vokalstück der CD folgt und musikalisch unmittelbar an die "Overture 1928" anknüpft. Das ganze ist sehr kraftvoll, sehr rhythmisch und aufgrund eines fast schon monoton hämmernden Schlagzeugs sogar ein wenig "hypnotisch". Etwa zur Hälfte hin nimmt das Stück jedoch eine Wende, legt erheblich an Tempo zu, wirkt gehetzter und unruhiger. Petruccis heulende E-Gitarre wird jetzt immer mehr zum dominierenden Instrument. Währenddessen werden die Leitmotive der Geschichte präsentiert - eine Szenerie in der Vergangenheit (1928), ein rätselhaftes Haus und eine rätselhafte Frau namens Victoria, die in irgendeiner Verbindung zu Nicholas zu stehen scheint. Dieser wiederum ist getrieben von dem Wunsch, eben diesen Zusammenhang herzustellen und all die Rätsel der Vergangenheit zu lösen, um so Klarheit für seine gegenwärtige Existenz gewinnen zu können.

Damit ist aber auch bereit die dritte Szene erreicht, die sich erneut aus zwei Songs zusammensetzt, welche ohne Pause direkt ineinander übergehen und auch mit Szene 2 unmittelbar verbunden sind. Nach dem sehr kurzen, wunderbar sanften "Through My Words" beginnt auch "Fatal Tragedy" ausnehmend sanft, zart und zurückhaltend. Der neue Keyboarder Jordan Rudess darf dabei perfekte Fingerfertigkeit beweisen. Doch der allgemeine Wohlklang währt nur eine Minute - dann gewinnt das Stück an Geschwindigkeit, Dramatik und einmal mehr das teuflische Duo aus Petruccis E-Gitarre und Portnoys Schlagzeug die Oberhand. Ab und an darf Rudess einen synthetisch generierten Chor aufheulen lassen und gelegentlich stimmen Portnoy und Petrucci auch selbst in den Gesang mit ein. Überhaupt entwickelt sich "Fatal Tragedy" zu einem typischen "Dream Theater"-Mikrokosmos, in dem sich geschickt gesetzte Dissonanzen mit schmelzenden Akkorden abwechseln, gewagte Rhythmen mit straighten Gitarrenriffs kontrastieren und der Progressiv-Rock-Fan selig lächelt.

Ein von monotonen Keyboard-Klängen unterlegter Satz des Hypnotiseurs beendet dann diese Szene und nach einer kurzen Pause geht es mit "Beyond This Life", Szene Nummer 4, weiter. Dabei wird nach einem pompösen Auftakt eine fiktive Zeitungsmeldung deklamiert, die das Rätsel, das Nicholas zu ergründen sucht, näher schildert. Man erfährt von einem Mord an einer Frau auf "Echo Hill", einem Mann, der von einem Zeugen neben der Leiche gesehen wurde, und sich selbst erschoss, als der Zeuge zur Hilfe eilen wollte. Der Beginn des Stückes wirkt beim ersten Hören reichlich fremdartig, der Quasi-Sprechgesang, der überdies noch verzerrt zu sein scheint, ist allemal gewöhnungsbedürftig, kann dann aber aufgrund zahlreicher Tempowechsel und beeindruckender Hochgeschwindigkeitspassagen durchaus begeistern. Doch "Beyond This Life" hat weit mehr zu bieten als eine simple Zeitungsmeldung. In einer Spieldauer von über 11 Minuten zeigen "Dream Theater" wieder einmal, dass sie es wie kaum eine zweite Band verstehen, viele verschiedene musikalische Ideen in einem Song zu vereinen und ihn auch tatsächlich als eine Einheit erscheinen zu lassen. Wieder kompakter - auch musikalisch und hinsichtlich der Spieldauer - präsentiert sich dann die fünfte Szene, "Through Her Eyes". Dabei handelt es sich um eine Ballade klassischen Zuschnitts, in der Petrucci mal wieder den Saiten seiner E-Gitarre klagende Töne entlocken und ansonsten den schmelzenden Gesang LaBries auf der akustischen Klampfe begleiten darf. Mit dem etwas weinerlichen, aber durchaus herzergreifenden Abgesang auf die vor siebzig Jahren (fiktiverweise) verblichene Viktoria endet denn auch "Act I".

"I had to suffer one last time
To grieve for her and say goodbye
Relieve the anguish of my past
To find ou who I was at last"

Der zweite Akt beginnt anschließend mit dem über zwölf Minuten langen "Home" - und das herrlich schräg. Doch nach dem leicht orientalisch angehauchten Auftakt geht es dann wieder ins gewohnte (und geschätzte) "Dream Theater"-Fahrwasser. Petruccis Gitarre röhrt wie ein brünftiger Elch (oder so, wie sich ein Stadtmensch einen solchen vorstellt), Portnoy feuert ein Trommelwirbel-Feuerwerk nach dem anderen ab und LaBrie schlüpft in die Rolle zweier neuer Personen: in die des Julian Baynes und seines Bruders, des Senators Edward Baynes. Beide lieben offenbar Victoria - und beide leiden darunter, dass sie ihre Liebe weitgehend geheim halten müssen. Für diejenigen der Hörer, die sich von dem Telefonsex-Werbespot angesprochen fühlen, der des Nachts in diversen Privatsendern ausgestrahlt wird und den TV-Konsumenten und potenziellen 0190-Kunden - logisch völlig missglückt - "Bist Du ein Voyeur und stehst total auf Lauschen ?" fragt, hält "Home" noch ein ganz besonderes Extra parat. Um die heimlichen Liebschaften der Victoria besonders glaubhaft zu machen, hört man im letzten Drittel des Stückes eine Frau gut eine halbe Minute lang hingebungsvoll (aber im Vergleich zur Begleitmusik doch sehr dezent) stöhnen. "Home" geht dann nach diesem schlüpfrigen Intermezzo in ein sechsminütiges Instrumental über, das die erste Hälfte der siebten Szene bildet. "The Dance Of Eternity" ist ein exzellenter Stil-Mischmasch, in dem "Dream Theater" unter anderem zeitgenössische Klänge des Jahres 1928, eine Art Kaffeehausmusik, mit kompromisslosen Metal-Passagen vermischen - und dennoch keine peinliche Bruchlandung erleben. Tanzbar ist das zwar wohl nicht (ohne weiteres), es reißt einen aber dennoch mit, ohne platt und abgedroschen zu klingen. Das Stück mündet dann in "One Last Time", einen reichlich dramatikgetränkten Vierminüter, in dem sich Nicholas der Wahrheit nähert und erkennt, dass er mehr mit der Vergangenheit gemein hat, als er ursprünglich zu träumen wagte. Umrahmt wird das - sehr geschickt - von kleinen Keyboard-Soli, bei denen Rudess in bester Pianistenmanier die Tasten rauf- und runterwandern darf.

Dann ist aber auch bereits die vorletzte Szene erreicht. Bei "The Spirit Carries On" stellen "Dream Theater" wieder einmal ihre Fähigkeit unter Beweis, herrliche, sentimenttriefende und dennoch nicht peinlich-banale Balladen zu schreiben. Aber der Klagegesang wurde zu früh angestimmt - das tragische Ende steht erst noch bevor. In der neunten und letzten Szene lockt die Freiheit. Und dass diese mitunter das Leben kosten kann, zeigt sich auch in "Finally Free" einmal mehr. Dabei gehören die ersten Minuten des Stückes wohl zum Besten, was diese CD zu bieten hat. Nachdem ein scheinbar harmloser Anfang den Hörer in Sicherheit wiegt, kreiert eine dramatisch inszenierte Handlung schon bald eine Spannungskurve, die einem Krimi gut zu Gesichte stünde - und im Hintergrund hört mal sogar eine Glocke drohend schlagen und das Grollen eines sich näherenden Unwetters kündet von nahendem Unheil. Das Geschehen kulminiert schließlich in den tödlichen Schüssen der "fatalen Tragödie" des Jahres 1928, und danach geben "Dream Theater" noch einmal richtig Gas, bevor ihr Protagonist Nicholas aus der Hypnose erwacht. Doch wer glaubt, damit sei die Geschichte endgültig vorbei und der Held aus den Klauen der Vergangenheit befreit, der sieht sich getäuscht - mehr soll an dieser Stelle allerdings nicht verraten werden.

An den musikalischen Fähigkeiten der "Dream Theater"-Musiker bestehen keine Zweifel. Während John Myung sich (leider) am Bass etwas zurückhalten muss, dürfen die anderen drei zeigen, was sie aus ihren Instrumenten herausholen können. Jordan Rudess gelingt es dabei praktisch mühelos, seinen Vorgänger Sherinian vergessen zu machen. Doch der Schwachpunkt der Band liegt möglicherweise woanders, glaubt man den kritischen Stimmen, die den Sänger der Band als deren, das Bild schmerzt selbst den Verfasser, musikalische Achillesferse ausgemacht zu haben glauben. Aber LaBries Vokalarbeit ist weitaus erfreulicher, als man es ihm gemeinhin (und gemeinerweise ?) unterstellt. Insbesondere bei den Balladen macht er eine exzellente Figur, aber auch in den schnelleren Stücken weiß er durchaus zu gefallen. Wenig geglückt ist allerdings der Versuch, ihn sowohl die männlichen als auch den weiblichen Charakter singen zu lassen. Hat er ohnehin bei den hohen Tönen seine Schwierigkeiten, wirkt seine Interpretation der Veronica völlig unglaubwürdig und fällt deutlich gegenüber den anderen Parts ab. "Shadow Gallery" haben auf "Tyranny" das opernähnliche Konzept weitaus konsequenter verwirklicht und die weibliche Rolle mit einer Frau besetzt - was dem Werk sehr zu Gute kam. Theresa Thomason, die auf "Scenes From A Memory" an zwei Stellen für "Additional Vocals" sorgen darf, hätte hier wohl durchaus eine Chance verdient gehabt. Aber nicht nur dabei reicht "Metropolis Pt. 2" nicht an die musikalische Konkurrenz heran. Das Motiv der Gedächtniserforschung wird weitaus banaler umgesetzt als in "Marillion"s "Brave", die zweiaktige Struktur wirkt wie ein plumper "Tyranny"-Abklatsch und die Geschichte selbst ist so profan, dass sie gegenüber dem High-Tech-Krimi "Tyranny" so harmlos wirkt wie Jonathan Rikes' TV-Waterloo "X-Faktor" neben dem "Bladerunner". Den Gipfel der Peinlichkeit erreicht das ganze aber mit der Aussage, die "Dream Theater" dem bedauernswerten Hörer in unnachgiebiger Offenkundigkeit einhämmern wollen. Seelenwanderung, Reinkarnation und ähnlicher Schnickschnack mögen vielleicht in den Sechzigern die Leute noch aus den Gamschen, respektive Birkenstocksandalen gekippt haben. Heutzutage wirkt so etwas, wenn es als sensationelle Erkenntnis vorgetragen wird, bestenfalls infantil. Mit den wunderbaren Texten, mit denen "Dream Theater" etwa noch bei dem Mini-Konzeptalbum "A Change Of Seasons" poetische Qualitäten bewiesen, hat "Metropolis Pt. 2" nichts mehr zu tun.

"If I die tomorrow
I'd be all right
Because I believe
That after we're gone
The spirit carries on."

Erstaunlicherweise hat der zweite Teil aber überdies mit "Metropolis Pt. 1" nicht mehr allzu viel gemein. Natürlich tauchen zahlreiche musikalische Motive immer wieder auf. Und auch im Text finden sich Verzahnungen. So werden im Booklet die beiden Brüder im Jahre 1928 als "The Miracle" und "The Sleeper" bezeichnet - ganz wie die beiden "Sprecher" im ersten Teil des "Metropolis"-Doppelpacks. Und auch die Schlusszeile von "Metropolis Pt. 2" findet sich in den "Scenes From A Memory" wieder. Allerdings ist "Love Is The Dance Of Eternity" im Jahre 1999 zum Titel des Songs "The Dance Of Eternity" mutiert. Mit solchen Kleinigkeiten hat es dann aber auch sein Bewenden, "Metropolis Pt. 2" steht weitgehend neben "Metropolis Pt. 1", ohne dieses zu ergänzen, fortzuentwickeln oder (richtig) aufzugreifen. Leider hat "Metropolis Pt. 2" mit dem ersten Teil aber in anderer Hinsicht dann doch sehr viel gemein. Denn musikalisch gibt es im Hause "Dream Theater" nichts Neues zu vermelden. Man ist den bewährten Rezepten treu geblieben, hat sogar die experimentellen Pfade, die man etwa auf "Falling Into Infinity" und "Awake" noch gelegentlich beschritten hatte, gänzlich verlassen. "Scenes From A Memory" klingt wirklich so, als wäre es das Folgealbum zu "Images And Words". Traditionalisten werden das zwar nicht unbedingt als Nachteil ansehen - und natürlich macht "Metropolis Pt. 2" sehr viel Spaß. Andererseits darf man von einer Band, die sich selbst als Avantgarde des Progressive Metal sieht (und wohl durchaus auch sehen darf), von einer Band, die das Genre mit "Images And Words" revolutioniert hatte, mehr erwarten als nur eine einfache Selbstkopie. Doch von einer Entwicklung ist nichts zu hören, auf neue Ideen wartet man vergeblich. Und so gilt für die "Scenes From A Memory" der aus dem Filmgewerbe bekannte und allzu oft zutreffende Vorwurf: der zweite Teil bietet zweifelsohne exzellente Unterhaltung und ist sein Geld allemal wert - aber letzten Endes ist er doch nur ein Abklatsch des ersten Teiles und künstlerisch weitgehend überflüssig. Schade.

(c) 2000 by Andreas Neumann

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