Juni, Amiga-Messe-Zeit.
Moment. Juni ? Mit dem Jahr 2000 scheint wirklich eine neue Zeitrechnung angebrochen zu sein. Nachdem schon die CeBIT - wegen der Expo - nicht im traditionellen Messemonat März stattfinden konnte, musste sich auch die Amiga-Öffentlichkeit auf eine Terminänderung einstellen, die sogar noch drastischer ausgefallen ist. Blickte man nun schon seit vielen Jahren in jedem November mehr oder minder gespannt nach Köln, wo eine Messe (unter wechselnder Schirmherrschaft) der zuletzt doch erheblich dezimierten Besucherzahl die einzige Präsentation der ebenfalls stetig zurückgehenden Zahl Amiga-relevanter Neuerscheinungen mit republikweitem Anspruch bot, so war nach dem Messeflopp des Jahres 1999 (vgl. die Messenachlese in "AmigaGadget"#43) klar, dass dies nicht für alle Ewigkeiten so bleiben würde. Nun zog der Falke-Verlag, der es innerhalb weniger Monate zur Monopolstellung im Markt für deutschsprachige Amiga-Printpublikationen ("amigaOS", nun: "Amiga Plus") gebracht hatte, die Notbremse. Nachdem die Kieler dies schon Ende 1998 angekündigt hatten, entschlossen sie sich jetzt endgültig dazu, die seit fünf Jahren unter der Ägide des Falke-Verlages veranstalteten Atari-Messen um eine Amiga-Sektion zu erweitern und großspurig als "World of Alternatives" (WoA) anzupreisen. In einer eigens hierfür (in einer Auflage von 60 000 Stück) produzierten vierseitigen Werbezeitung mit dem ebenfalls äußerst anglizismenfreundlichen Titel "Messe-News" verkaufte man dem gemeinen Amiga-Volk diese Übernahme einer weiteren Monopolstellung bescheiden und geschickt mit dem angeblichen "Drängen etlicher Aussteller-Firmen und Clubs sowie User". Jeden unbedarften Amiga-Anwender, der sich über immer weitere Konzentrationsprozesse und die erwarteten "economics of scale" (ja, auch der Verfasser dieser Zeilen kennt ein paar wichtigtuerische englische Begriffe) freut, wird dieses Verantwortungsbewusstseins des Falke-Verlages sicherlich zutiefst gerührt haben. Ich jedenfalls habe vor Ehrfurcht geweint.
Nach einigen Terminquerelen legte man die WoA dann auf den 10. und 11. Juni, das Pfingstwochenende. Doch damit nicht genug der genialen planerischen Weitsicht. Anstatt die Messe, wie gehabt und (hinreichend) bewährt, in der Domstadt Köln am Rhein stattfinden zu lassen, verlegte man sie in die nahe Düsseldorf gelegene Kleinstadt Neuss. (Dass dies ausgerechnet in dem Moment geschieht, in dem ich einen Zweitwohnsitz in Bonn, einer kleinen Vorstadt Kölns, begründet habe, passt ins Bild und ist sicherlich nur Bestandteil einer größeren Verschwörung.) Aber bei Lichte betrachtet war diese Entscheidung natürlich nur konsequent - wer heute noch einen Amiga besitzt, wird Entbehrungen, Schwierigkeiten und Umstände gewohnt sein und sich von der nur suboptimalen Anbindung der neu(ss)en "Amiga-Messestadt" an das Verkehrsnetz, insbesondere an das der Deutschen Bundesbahn nicht abschrecken lassen. Und, seien wir doch mal ehrlich, wer ohnehin sechs, sieben Stunden aus Freiburg, München, Berlin oder Dresden durch die ganze Republik herbeigepilgert kommt, dem macht es doch auch nichts mehr aus, wenn er an Kölner oder Düsseldorfer Hauptbahnhof noch einmal umsteigen und mit einem Nahverkehrszug oder einer S-Bahn durch das nordrhein-westfälische Hinterland gondeln darf. Hübsch auch die in den "Messe-News" niedergelegte offizielle Diktion, derzufolge Neuss "im Herzen von NRW" liegen soll, während man nach einem Blick auf die Landkarte dort doch eher einen Blinddarm erwarten würde. Da möchte man doch beinahe wissen, wie Ali Goukassian, der Inhaber des Falke-Verlages, von innen aussieht.
Derartige verquere (für die ich allerdings die Bezeichnung "psychotisch" bevorzuge) Gedanken gehen mir durch den Kopf, als ich mich am 10. auf den Weg in das Städtchen Neuss mache. Am dortigen Bahnhof angekommen, stelle ich voller Freude fest, dass der in den "Messe-News" abgedruckte Ausschnitt des Neusser Stadtplans den "Weg zur Messehalle" wohl in erster Linie denjenigen weisen will, die mit dem Auto anreisen. Glücklicherweise liegt die einen Fußmarsch von vielleicht fünfzehn Minuten entfernte Stadthalle, in der das große Ereignis stattfinden soll, so zentral, dass man zwangsläufig auf sie stößt, wenn man sich auch nur ungefähr in die richtige Himmelsrichtung in Bewegung gesetzt hat. Dort um die Mittagszeit endlich angekommen, bin ich erstmals positiv überrascht. Es handelt sich bei der Stadthalle nämlich nicht um den erwarteten heruntergekommenen Plattenbau im Stile der siebziger Jahre, sondern um ein modernes und gepflegtes Gebäude, das etwas abseits der Straße im Grünen liegt und direkt an ein "Dorint"-Hotel (oder auch "Dortint", wie es in den "Messe-News" heißt) angegliedert ist. Die Eintrittskarten erhält man dann von einem stilgerecht uniformierten Portier an einem kleinen Kassenschalter in der Vorhalle. Dank Studentenausweis erhalte ich die Eintrittskarte, auf der seltsamerweise behauptet wird, sie ermögliche den Zutritt zur "World of Amiga & Atari", zum um fünf Mark ermäßigten Preis von 13 DM. Und dann bin ich endlich drin.
Auf einem kleinen Tisch liegen in der Vorhalle diverse Informationsmaterialien aus, mit denen man sich eine erste Orientierung verschaffen kann. Neben einem sehr einfach gestalteten, aber dafür auch sehr übersichtlichen Hallenplan fällt mir dabei vor allem ein Stapel Postkarten auf, auf denen Sebastian Brylka (von den üblichen orthographischen Schwächen einmal abgesehen) professionell gestaltete Werbung für sein sehr gelungenes und allemal empfehlenswertes Amiga-WWW-Portal funtime-world.de macht. Dass er zugleich einen zugehörigen WAP-Nachrichtenticker anpreist, ist wohl nur konsequent. Wer auf tote Computertechnologie setzt, wird sicherlich auch bei der Einführung einer totgeborenen Mobilfunktechnologie in der ersten Reihe dabei gewesen sein. Aber da ich ja ohnehin zum Leichfleddern hier bin, sind meine nekrophilen Gelüste damit noch lange nicht gestillt. Glücklicherweise hat der Falke-Verlag durch die Kombination der Atari-Messe mit den Überlebenden der Amiga-Geschichte für ausreichend morbiden Charme gesorgt. Den verströmen schon in der Vorhalle diverse kleinere Händler, an deren Ständen man vor allem gebrauchte und auch neue Atari- und Amiga-Software erwerben kann, wenn man es denn unbedingt will. Andererseits haben hier auch einige Aussteller vor den Toren der eigentlichen Messehalle ihre Stände errichtet, die zu den wenigen verbliebenen Aktivkräften der Amiga-Welt gehören. Dazu zählt in erster Linie natürlich der von Petra Struck gegründete und geleitete WWW-Informationsdienst amiga-news.de, der sich hier wie schon bei der HOME electronics world (HEW) im vorigen November in enger Kooperation mit dem "Amiga-Club im Internet" präsentiert. Dort führt unter anderem Club-Mitglied Volker Mohr mal wieder einen selbstgebastelten Amiga-Laptop vor. Aber die Hauptattraktion ist diesmal doch eher die große Vorlesungsecke, die Petra Struck inmitten des amiga-news.de-Standes errichtet hat. Dank des hohen Bekanntheitsgrades ihres Informationsdienstes war es ihr möglich gewesen, zahlreiche Amiga-Firmen zu mal mehr, mal weniger großzügigen Spenden zu bewegen, die nun im Rahmen einer Verlosung unters Amiga-Volk gebracht werden sollen. Doch auch ein anderer Blickfang kann hier besichtigt werden. Wer zufälligerweise seine Computermaus oder ein anderes Peripheriegerät dabei hat, kann dieses hier von Airbrushkünstler Ralf Tingler (Airbrush Paradise Tingler) sozusagen in Echtzeit verzieren lassen - ein Angebot, das ausweislich der hier stets versammelten Schaulustigen offenkundig Anklang beim Publikum findet.
Mich drängt es aber nun endlich hinein ins eigentliche Getümmel. Und genau das ist es. Denn die ohnehin nicht sehr große Neusser Messehalle platzt aus allen Nähten. Man fühlt sich wahrlich an gute alte Kölner Zeiten erinnert und freut sich über jeden Meter Raumgewinn, den man unter Einsatz der gesamten zur Verfügung stehenden Körpermasse sowie aller vorhandener Ellenbogen erzielen kann. Ich quetsche mich zunächst einmal stur geradeaus und komme so, wie eigentlich jedes Jahr, direkt an den Stand des APC & TCP. Der Überseer Computerclub präsentiert sich auf einem ansehnlichen Messestand mit dem üblichen Sortiment - in den Regalen jede Menge CD-ROMs und zahlreiche Spieleeigenentwicklungen, und vor den Regalen die üblichen Verdächtigen: Clubchef Andreas Magerl mitsamt Freundin sowie einigen fleißigen "Clubberern", allen voran die Geschwister Breitsprecher. An Neuigkeiten hat man hier vor allem wieder ein paar Silberscheiben im Gepäck: die "Amiga Arena", eine CD-ROM mit Dateien zur Verschönerung der Workbench und ähnlichen Spielereien namens "Digital Make Up", die zehnte CD der "Scene Archives"-Reihe, die "Amiga Game Guide CD" mit Spieletipps und -tricks, sowie eine CD-ROM zur PD-Serie "Faces Of Mars". Dabei sollen die "Faces Of Mars 2001" wahrlich Sensationelles enthalten, verspricht der Klappentext doch sogar das Vorhandensein eines echten Hyperlinks. Ich bin beeindruckt.
Meine Aufmerksamkeit wird dann jedoch sehr schnell von einer Präsentation abgelenkt, die am Nachbarstand abläuft. Dort hat der Frechener Hard- und Softwarespezialist Eternity seine (Messe)Zelte aufgeschlagen. Und einen ziemlich großen Fernseher aufgestellt, auf dem alle halbe Stunde ein Trailer zu der schon seit einigen Jahren angekündigten Eigenentwicklung "Tales Of Tamar" läuft. Dabei handelt es sich um ein Fantasy-Strategiespiel, dessen Besonderheit darin liegt, dass das eigentliche Spiel auf einem Server läuft, an den die Rechner der Spieler per Internet die jeweils neuen Spielzüge übermitteln, so dass letzten Endes tausende von Spielern gegen- und miteinander spielen können. Hier und heute kann jedoch noch niemand spielen. Lediglich ein ebenfalls von Eternity in Eigenregie entwickeltes Programm spielt - und zwar den bereits erwähnten Trailer ab. Dieser ist grafisch durchaus beeindruckend, besteht er doch aus offenkundig handgepixelten Szenen und Animationen, die völlig ruckelfrei abgespielt werden. Die Geschichte, die dazu erzählt wird, die "Tales Of Tamar", ist hingegen reichlich banal und berichtet von den üblichen nach dem Tod des weisen Reichsgründers zerfallenen Kaiserreichen, von den Königen, Kriegsherren und Magiern, die man schon aus unzähligen anderen Spielen dieses Genres kennt. Wie das Spiel selbst aussehen wird, erfährt man indes nicht - und bleibt jedenfalls insoweit nach wie vor auf die eigene Fantasie angewiesen. Doch Eternity-Chef Martin Wolf hat an seinem Stand noch eine weitere Attraktion parat - Tom Neidhardt, den Programmierer der Systemerweiterung "EASys!". Der präsentiert sich und sein Werk in einer Ecke des Standes als Unteraussteller, und ist ob des großen Publikumszuspruchs (und des daraus resultierenden Erläuterungsbedarfs) sichtlich erschöpft. Dennoch erklärt er auch mir (und einigen anderen neu hinzugetretenen Messebesuchern) bereitwillig und freundlich die Vorzüge seines Systems, das vor allem auf einer sehr mächtigen Dateitypenerkennung und -behandlung und dem weitflächigen Einsatz von Kontextmenüs basiert. So kann man jedem Dateityp beliebige Standardoperationen zuordnen, ihn andererseits aber auch komfortabel mit exotischen Programmen verknüpfen. Damit ist es etwa eine Sache von nur wenigen Mausklicks, ein gesamtes Verzeichnis mit "LhA" zu packen und dann mit seinem Lieblingsmailprogramm zu versenden. Mich persönlich fasziniert jedoch vor allem die Toolleiste, die auf Neidhardts Workbench zu sehen ist. "Das Programm umfasst also auch `Toolmanager'-ähnliche Funktionen ? Oder was ist das hier ?" "Ja, das ist `Toolmanager'." "Wie - das ist `Toolmanager' ? Das ist Stephan Beckers `Toolamanger'" ? "Ja." Desillusioniert verlasse ich Neidhardt, Wolf und Co.
Bei meinen sich nun anschließenden mehrfachen Rundgängen durch die nicht wirklich weitläufige Messehalle drängt sich mir vor allem ein Fazit auf - viel Neues gibt es nicht in Neuss. Eine Ausnahme bildet da noch der Vertrieb Alfred Knötig. Hier wird das endlich fertiggestellte Weltraumballerspiel "Apano Sin" (Level One) präsentiert, dem man das Alter des ihm zugrundeliegenden Konzeptes vor allem daran anmerkt, dass es nur als Diskettenversion vorliegt. Und obwohl das Intro durchaus ansprechend aussieht, wirkt das eigentliche Spiel doch reichlich altbacken, so dass ich mich nicht dazu aufraffen kann, die Möglichkeit eines Probespieles wahrzunehmen. Stattdessen wende ich mich dem Kontrastprogramm zu, dem mit dem Verzicht auf Neuvorstellungen verbundenen Räumen vorhandener Bestände, das direkt nebenan stattfindet. Dort bietet ämlich Verko-Soft alte Amiga-Spiele zu wahren Schleuderpreisen feil. Für Preise ab 50 Pfennig (!) kann man Klassiker und Ladenhüter gleichermaßen abgreifen - eine Geschäftstaktik, die vom Messepublikum offenkundig goutiert wird. Regen Zulauf verzeichnet auch der direkt gegenüberliegende Stand des Versandhändlers Vesalia. Die erhofften phase 5-Turbokarten, die nach dem Konkurs der Oberurseler Firma mittlerweile von DCE gefertigt werden, sind dabei leider und zur (berechtigten) Enttäuschung vieler Messebesucher nicht mehr rechtzeitig eingetroffen und demzufolge nicht erhältlich. Stattdessen gibt es jedoch noch alle drei Zusatzmodule für die Village Tronic-Grafikkarte "Picasso IV". Auf meine überraschte Frage, ob "Paloma", "Pablo" und die "Concierto" denn wieder produziert würden, erfahre ich jedoch leider, dass es sich nur um wenige Exemplare handele, die man von Village Tronic noch zugeschickt bekommen habe. Über die konkreten Pläne zur weiteren Fertigung dieser Module, mit denen die "Picasso IV" ihre überragenden Fähigkeiten erst so richtig ausspielen kann, ist leider nichts in Erfahrung zu bringen.
Vor allem das sattsam bekannte Hard- und vor allem Software-Sortiment bietet auch der Händler DreiEinHalb, wobei man hier sogar Antiquitäten aus längst vergessen gehofften Amiga-Zeiten entdecken kann. Sogar noch obskurere Fundstücke befinden sich schräg gegenüber bei Zellmer Electronic, einem Händler, der Amiga- und Atari-Anwender gleichermaßen bedient. Sozusagen. Deutlich spannender wird es dann wieder in dem wohl am stärksten unter dem Besucheransturm leidenden Teil der Halle. Hier sind die letzten "Großen" des deutschen Amiga-Marktes versammelt, allen voran natürlich Haage & Partner, die selbstverständlich das (nicht mehr ganz so neue) "AmigaOS" 3.5, das unter der Regie der Glashüttener Softwarefirma entstanden ist, im Angebot haben. Aber auch ein ganzer Batzen neuer Programmversionen (mehr oder weniger) bewährter Haage & Partner-Titel, die allesamt erst kurz vor der Messe fertiggestellt werden konnten, befindet sich im Messesortiment der Firma: Version 2.0 der Textverarbeitung "Amiga Writer", die nun auch über eine spezielle PPC-Version verfügt, Version 4.0 der Bildbearbeitungssoftware "ArtEffect" sowie neue (oder zumindest endlich erschienene aktuelle) Versionen des DTP-Programmes "Page Stream" (4.0) und "imageFX" (ebenfalls 4.0). Insbesondere das letztgenannte Programm fasziniert mich, scheint es doch in unmittelbarer Konkurrenz zum ebenfalls bei Haage & Partner veröffentlichten "ArtEffect" zu stehen. Ich frage also nach, warum sich jemand das eine Programm kaufen sollte, wenn er schon das andere hat, und bekomme die Antwort, dass "imageFX" ein Bildbearbeitungsprogramm sei, welches auch über Funktionen eines Malprogrammes verfüge, während es sich bei "ArtEffect" um ein Malprogramm handele, welches auch über Funktionen einer Bildbearbeitung verfüge. Oder umgekehrt. Zum Glück benutze ich "fxPAINT".
Den vermutlich größten Verkaufsschlager der Messe kann man dann schräg gegenüber begutachten. Die deutsch-belgische Softwarefirma Hyperion um die beiden Frieden-Brüder ist als Unteraussteller am Stand von Titan Computer präsent und hat die endlich fertiggestellte Amiga-Konvertierung des 3D-Egoshooters "Heretic 2" im Gepäck. Das Spiel reizt die vorhandene Amiga-Hardware gnadenlos aus, erfreut den ballerwütigen Spielefreund dafür aber auch mit einem der Originalfassung entsprechenden Spielegefühl. In eine ähnliche Richtung geht auch "Shogo", ebenfalls eine PC-Portierung, die Hyperion im Laufe der nächsten Wochen veröffentlichen will, und deren Betaversion in Neuss gelegentlich bereits auf dem Vorführrechner von Titan zu sehen ist. Bislang nur auf dem Papier gibt es schließlich eine weitere Portierung eines erfolgreichen PC-Egoshooters, für den sich Hyperion die Rechte gesichert hat. Frisch aus dem Fotokopierer verkündet eine Pressemitteilung, dass Hyperion das Spiel "Soldier Of Fortune" für den Amiga und den Macintosh umsetzen wird. Als Erscheinungstermin ist das vierte Quartal 2000 vorgesehen. Spielefreunde dürfen sich freuen. Ähnlich vielversprechend sieht aber auch die spielbare Demoversion des zur baldigen Fertigstellung vorgesehenen Echtzeitstrategiespiels "Exodus - The Last War" aus, bei der man in bester "Command & Conquer"-Manier seine Truppen zum Sieg gegen den computergesteuerten Gegner führen muss, und das die polnische Softwareschmiede Team Akson Software über Titan Computer vertreiben wird. Bereits fertiggestellt und erhältlich ist schließlich das auch schon bei der HEW in Köln zu besichtigende "Joyride", welches jedoch nach wie vor eher an ein Autorennspiel der frühen Neunziger erinnert als an einen zeitgemäßen Arcadereißer. Doch natürlich verscherbelt Titan nicht nur Spielefutter für den jung gebliebenen Computerdaddler. In Neuss präsentiert man auch die zahlreichen Anwendungsprogramme, die man in der kleinen aber sehr feinen Produktpalette hat. Leider gibt's hier wenig Neues zu vermelden. Und auf meine Frage, ob denn z. B. mit einer neuen Version der mitunter recht hilfreichen Grafikeffektsoftware "Candy Factory" gerechnet werden könne, erhalte ich - nachdem der Ober-Titane Michael Garlich kurz Rücksprache mit dem offenkundig mit der Entwicklung des Programmes betrauten Programmierer gehalten hat - die wenig beglückende Antwort, dass für den "Amiga Classic" keine neue Version zu erwarten sei. Vielleicht aber für den neuen Amiga. Da würde man dann sehen. Oder eben auch nicht.
Viel zu sehen gibt es denn auf jeden Fal bei den drei direkt aufeinanderfolgenden Ständen von KDH Datentechnik, Individual Computer und Epic Marketing. Hier setzt man offenkundig auf die Überzeugungskraft weiblichen Charmes, obwohl auch durchaus einige nicht uninteressante Computerprodukte zu bestaunen sind. So präsentiert Individual Computer-Chefentwickler Jens Schönfeld voller Stolz seine schon bekannte X-Surf-Netzwerkkarte. Wer das kleine Wundergerät sein eigen nennt, wird dafür von Jens Schönfeld reich beschenkt - jeder X-Surf-Besitzer kann sich am Stand von Individual Computer eine CD-ROM mit den zur Installation eines Samba-Netzwerks erforderlichen Programmen abholen. Nur als Ausstellungsstück ist schließlich ein noch produktionsfrisches Vorserienmodell der ISDN-Surfer-Karte zu bestaunen, mit der die ISDN-Nutzung ein wahres Kinderspiel und Vergnügen werden soll - jedenfalls für Besitzer eines Amiga-Rechners mit Zorro-II-Stechplatz. Als kleinen Blickfang für jedermann gibt es aber überdies auch noch einen Amiga 1000 mit der Unterschrift des legendären Amiga-Schöpfers Jay Miner zu sehen. Weniger spektakulär, dafür für die im Konsumrausch schwelgende "Laufkundschaft" wohl durchaus noch interessanter gibt sich da der Stand von Epic Marketing. Denn hier kann man wieder einmal CD-ROMs in Hülle und Fülle erwerben, wobei sich Epic Marketing vor allem um die Neuauflage bewährter und begehrter Amiga-Klassiker verdient macht. Darüber hinaus kann man aber auch firmeneigene Neuveröffentlichungen erstehen - der (mal wieder) als Ehrengast den Epic-Stand schmückende "Foundation"-Programmierer Paul Burkey signiert dabei sogar auf Wunsch die "Gold Edition" seines "Siedler"-ähnlichen Strategiespieles sowie die ebenfalls neu erschienene Missions-CD-ROM "Foundation: The Undiscovered Land". Die eigentlich ebenfalls zur Veröffentlichung auf der WoA vorgesehene Amiga-Version des Adventure-Klassikers "Simon The Sorcerer II" sucht man jedoch vergebens. Die freundliche Standmitarbeiterin (die umso enttäuschter wirkt, als ich mich dann, ohne etwas gekauft zu haben, verabschiede) erklärt mir, dass der ursprünglich vorgesehene Programmierer das Projekt hingeschmissen habe. Paul Burkey werde die Arbeit nun fertigstellen, was jedoch noch ein wenig Zeit in Anspruch nehmen werde.
Wenig Neues kann ich dann am Stand des Kölner Händlers Martin Strobl (COOLbits) entdecken - andererseits ist seine Produktpalette auch so schon mehr als nur beeindruckend und sollte jeden Amiga-Anwender zufriedenstellen können. Gleiches gilt für die "Schatztruhe" von Amiga-Urgestein Stefan Ossowski, die direkt gegenüber Quartier und Stellung bezogen hat. Hier gibt es zwar eine neue Aminet-CD-ROM und auch noch die eine oder andere neue Programmversion bewährter Softwaretitel zu kaufen. Alles in allem konzentriert sich jedoch auch der Essener Softwarehändler auf seine bekannte und beliebte Produktpalette. Dasselbe Motto scheint sich der Falke-Verlag auf die Fahnen geschrieben zu haben. Zwar bietet der Messeveranstalter an seinem großzügig dimensionierten Stand auch dem "Wildfire"-Programmierer Andreas Küssner Gelegenheit, die nach wie vor aktuelle Version 7 seines vorzüglichen Videoeffektprogrammes zu demonstrieren (was, wie eigentlich immer, vor allem bei Herren im betagteren Alter Anklang findet), vor allem aber nutzt man den Platz, um alte Ausgaben der "amigaOS", der "Amiga Plus" und der "Amiga Future" sowie die dazugehörigen CD-ROMs und diverse ST-Postillen zu verramschen. Unspektakulär. Von der Möglichkeit, für nicht einmal 200 DM einen Stand zu mieten und sich damit am anderen (unteren) Ende der Stand-Hierarchie zu präsentieren, haben leider nur wenige Shareware- und Freeware-Programmierer Gebrauch gemacht. Neben dem "MUIbase"-Programmierer, der in der Vorhalle seine Sharewaredatenbank vorstellt, fällt mir bei meinen orientierungslosen Rundgängen vor allem ein Stand (lies: Tisch) ins Auge, der erst im Laufe des Nachmittages aufgebaut wird. An diesem präsentieren Jens Langner und Jens Tröger gemeinsam ihre diversen (und zumeist recht nützlichen) Programme. Aushängeschild scheint dabei ein Programm namens "AmIDE" zu sein, was mir rein gar nichts sagt und mich zu der verwirrten Frage veranlasst, was denn, bitte schön, ein "IDE" sei. Mit mitleidigem Blick (aber erfreulich freundlich) erklären mir das doppelte Jenschen, dass es sich dabei natürlich um ein "Integrated Development Environment" handele. Das wisse doch jeder. (Was offenkundig ein Irrtum ist.) Damit habe man die Möglichkeit, komplexe Programmierprojekte zu verwalten, insbesondere also diverse Include-Dateien automatisch compilieren zu lassen, wenn sie zwischenzeitlich bearbeitet worden sind - und zwar nur dann. "AmigaIDE" sei dabei so ausgelegt, dass es ohne große Schwierigkeiten an diverse Programmiersprachen und Compiler angepasst werden könne. Ich bin beeindruckt. Zu meiner Zeit hieß so etwas noch "`make'-File".
Dem "Atari-Teil" der Messe schenke ich, das sei offen gestanden, insgesamt wenig Beachtung, zumal sich hier die meisten Stände nur geringfügig über Flohmarktniveau bewegen. Eine erfreuliche Ausnahme stellt jedoch der Stand der Berliner Softwarefirma ROM logicware dar, die voller (berechtigtem) Stolz ihre leistungsfähige Textverarbeitung "papyrus WORD", respektive die zugehörige Office-Suite "papyrus OFFICE" vorstellt. Da vor einiger Zeit mal eine Amiga-Portierung des bislang nur für den Atari und Wintel-PCs erhältlichen Programmes im Gespräch war, frage ich nach, was denn aus diesem Plan geworden ist. Nachdem endlich ein Standmitarbeiter gefunden ist, der über genug Kompetenz zur Beantwortung der Frage verfügt, wird schließlich noch externer Rat eingeholt. Der ROM-Mitarbeiter ruft dem gerade vorbeieilenden Ali Goukassian zu, dass es hier wieder mal eine Nachfrage nach einer Amiga-Version gebe. Ob man das Projekt nicht wiederbeleben wolle oder solle ? Leider weiß auch der Chef des Falke-Verlages da offenkundig keine verbindliche Antwort und so verabschiede ich mich, ohne einen nennenswerten Wissenszuwachs verbuchen zu können. Weitere ST-Attraktionen findet der interessierte Messebesucher (der ich, jedenfalls insoweit, ja nicht bin) auf einer etwas höher liegenden Tribüne. Dort hat vor allem die Firma Milan Computersystems (ein weiteres Goukassian-Unternehmen) Quartier bezogen und präsentiert voller Stolz den Milan II, eine Art ST-Nachfolger. Der Rechner basiert auf einem 68060-Prozessor, setzt ansonsten aber weitgehend auf PC-Standards und -Standardbauteile (wie SDRAM, IDE, ATI, PCI und USB). Der "Markteintritt" ist einer Broschüre zufolge, die seltsamerweise und zusammenhanglos das ganzseitige Photo einer jungen Dame ziert (ein "Hingucker"-Werbetrick, der jedenfalls bei mir sein Ziel erreicht hat), für Herbst 2000 geplant. Milan hat damit sicherlich ein System geschaffen, welches das Herz jedes ST-Besitzers höher schlagen lassen dürfte. Ob es sich bei dem Milan II aber wirklich um "die Lösung" handelt, "die künftige Anforderungen erfüllt", wie die Werbebroschüre großspurig verspricht, sei in Zeiten der Gigahertztaktfrequenzen und DVD-Abspielgeräte einmal dahingestellt.
Ich wende mich nun der Zukunft eines ganz anderen Rechnersystems zu. Nachdem die Firma Amiga - enttäuschenderweise - nicht mit einem eigenen Stand in Neuss präsent ist, sieht man Petro Tyschtschenko nur gelegentlich mit einem Sack voller Werbegeschenke durch die Gänge streifen. Erfreulicherweise hat sich aber niemand geringeres als Amiga-Präsident Bill McEwen extra für die WoA einfliegen lassen. In einem von zwei durch künstliche Holzwände vom Gang abgetrennten "Konferenzbereichen" außerhalb der eigentliche Halle (im Rundgang um dieselbe, dem Bereich, dem auch die "Vorhalle" angehört) hält er mehrere Vorträge über die Zukunft des Amiga. Da der vorhandene Platz in diesem abgetrennten Bereich äußerst knapp bemessen ist und die Begeisterung der Amiga-Anwenderschaft für derartige Audienzen hinlänglich bekannt sein dürfte, verwundert es (zumindest mich) nicht, dass ich - obwohl es bis zum angekündigten Termin noch gut eine Viertelstunde dauert - nicht nur keinen Sitzplatz mehr finde, sondern mich nur mit Müh und Not gerade noch in den "Konferenzbereich" hineinquetschen kann. Auch der pünktlich erscheinende Bill McEwen hat so seine Probleme, sich durch sein eng gedrängt sitzendes und stehendes Publikum nach vorne zu kämpfen. Da über dem Tag überdies schon die ganze Zeit eine drückende Schwüle lastet, ist die Atmosphäre in dem Vortragsraum entsprechend unangenehm, und McEwen begrüßt die Anwensenden zunächst einmal in der "Amiga-Sauna". Dann verteilt er die obligatorischen Werbegeschenke - Amiga-Kugelschreiber und -Aufkleber -, die auch reißenden Absatz finden (als hätte nicht jeder Amiga-Anwender schon lange seine eigene komplette Amiga-Büroausstattung). Danach beginnt McEwen endlich seine etwa eine Dreiviertelstunde dauernde Präsentation, die er mit Hilfe zweier Laptops ("This is the first Amiga Laptop. No, I'm just kidding.") illustriert, wobei die Bilder mit Hilfe eines sich zunächst nur langsam aufheizenden "Beamers" an die Wand projiziert werden. Der bärtige US-Amerikaner erweist sich dabei als guter Redner, der mit viel Schwung und (etwas hemdsärmeligem) Witz seine Zuhörer zu fesseln versteht, und seine Sache hier in Neuss gut aufgeräumt darstellt und überzeugend verkauft. Unterbrochen wird der Vortrag nur von ein paar Schlaumeiern, die ihre Sicht auf das Geschehen dadurch zu verbessern trachten, dass sie Trennwände öffnen. Unter der gewaltsamen Öffnung einer der vier Ecken leidet jedoch die Stabilität der Konstruktion ganz erheblich - und selbst McEwen atmet hörbar auf, als das Gebilde zwar heftig schwankt, letzten Endes aber doch nicht umkippt.
Inhaltlich beginnt McEwen seinen Vortrag zunächst einmal damit, dass er Stellung zu diversen Gerüchten bezieht, die in der Amiga-Öffentlichkeit unlängst die Runde machten. Nein, seine Firma habe keine Schulden - auch nicht gegenüber dem Amiga-Vorbesitzer Gateway, den man bereits vollständig bezahlt habe. In personeller Hinsicht verweist er auf die Einstellung von Dean K. Brown als Hardware-Entwicklungschef, der für die Erstellung diverser Referenzkonfigurationen zuständig sei, an denen sich dann Dritthersteller ausrichten könnten. Außerdem werde man demnächst jemanden engagieren, der gegenwärtig noch bei einer anderen bedeutenden IT-Firma beschäftigt sei. Mehr könne er nicht sagen, doch diese Firma stecke momentan in großen Schwierigkeiten - welche er mit der Geste des Zerreißens illustriert. ("Microsoft!", he shrieked.) Voller Stolz präsentiert er dann das SDK, das "Software Development Kit", das er zur Messe mitgebracht hat, und das bereits an zahlreichen Ständen für ungefähr 230 DM verkauft wird. Dabei handelt es sich um eine Entwicklungsumgebung für den geplanten neuen Amiga. Sie läuft derzeit noch ausschließlich unter Linux und ausschließlich auf x86-Prozessoren (und benötigt darüber hinaus auch noch eine Netzwerkkarte), hier würden aber demnächst auch andere Versionen erscheinen. Überhaupt sei das SDK derzeit noch äußerst rudimentär und werde erst im Laufe der nächsten Monate nach und nach um die noch fehlenden Funktionen ergänzt. Den ursprünglichen Plan, (nur) eine Entwicklerbox, also eine Kombination aus Hard- und Software anzubieten, habe man nach heftiger Kritik seitens der Anwender (und Programmierer) fallen gelassen, die überraschenderweise keine rechte Begeisterung dafür aufbringen konnten, für viel Geld noch einen kompletten Computer mitfinanzieren zu müssen. Dennoch werde man auch noch eine solche Entwicklerbox anbieten - sie werde in wenigen Wochen in den Läden zu haben sein. (Mittlerweise ist das tatsächlich der Fall und der "d'Amiga", so der blödsinnige Name des auf einem AMD-Prozessor basierenden Gerätes, erhältlich.) Das Konzept des endgültigen Systems basiere auf universeller Einsetzbarkeit und weitreichender Skalierbarkeit. So würden sich Programme, die für technisch eher anspruchslose Rechnerumgebungen (wie z. B. Mobiltelefone) geschaffen werden, mühelos auch auf "höheren" Ebenen - also einem Desktop-Rechner oder gar einem hochgezüchteten Serversystem einsetzen lassen (wohingegen es andersherum naturgemäß deutlich schwieriger werde). Dank der TAO-Wundersoftware werde das neue Amiga-Betriebssystem überdies auf praktisch jedem relevanten Prozessor laufen (einschließlich x86, PPC, StrongARM, MIPS etc.) und darüber hinaus sogar auf anderen Betriebssystemen (u. a. natürlich "Windows", Linux und selbst QNX) aufsetzen können, so dass man noch nicht einmal eine eigene Festplattenpartition für das neue AmigaOS anlegen müsse. Dieses Konzept habe in der Branche für großes Aufsehen gesorgt. McEwen berichtet u. a. von einer Java-Messe, bei der die TAO-Software allgemein für Ver- und Bewunderung gesorgt habe. Als durchaus spektakulär (und in meinen Augen erfreulich) erweist sich dann die nächste Ankündigung. Sobald das neue Betriebssystem, an dem man unter Hochdruck arbeite, fertiggestellt sei, werde man auch ein komplettes Rechnersystem präsentieren - also einen "richtigen" neuen Amiga, den "Amiga One". Zwar werde man diesen nicht selbst fertigen - das bliebe Drittherstellern überlassen -, durch die zentrale Entwicklung unter der Ägide Amigas bekämen die Amiga-Anwender aber die Gelegenheit, endlich ein neues Amiga-Modell zu erwerben, das auch offiziell als solches firmiert.
In einem kurzen Ausflug in die jüngere Amiga-Historie berichtet McEwen dann von dem Umzug der Firma nach Snoqualmie, der Stadt, in der David Lynch einst seine herrlich-verschrobene Mystery-Serie "Twin Peaks" drehte. Zuvor sei man in einem Hinterhofbüro mit direktem Blick auf eine Autowaschanlage untergebracht gewesen. In Snoqualmie residiere man hingegen in einem zwar ebenfalls äußerlich reichlich unspektakulären Bürogebäude, das sich jedoch mehrere High-Tech-Firmen untereinander aufteilten. Dabei verstehe man sich sehr gut mit den neuen Nachbarn und dürfe sogar gelegentlich deren hochwertige Hardware-Ausstattung nutzen. Als sich zu diesem Zeitpunkt alle Zuhörer schon damit abgefunden haben, dass der Vortrag nun wohl langsam ausklangen wird, fragt McEwen plötzlich "ganz beiläufig" (und natürlich nur rein rhetorisch), ob man das neue System denn mal sehen wolle. Ermöglicht wird das mit Hilfe des bislang nicht zum Einsatz gekommenen zweiten Laptops, dessen Festplatte eine Linux-Installation und darauf aufsetzend das SDK enthält. Schon beim Start der Amiga-Umgebung zeigt McEwen ganz begeistert auf das an die Wand geworfene Bild: "Balls !" Für einen Moment fürchte ich, dass das neue Amiga-Betriebssystem in irgendeinem Zusammenhang mit männlichen Genitalien stehen könnte, realisiere dann jedoch, dass er lediglich auf ein paar grafische Elemente anspielt, die - freilich nur entfernt - an den berühmten "Boing"-Ball erinnern. Als das "Amiga-System" dann läuft, präsentiert McEwen zahlreiche Demos (einschließlich diverser "Boing"-Clones) sowie einige einfache Spiele und Anwendungen. Die von manchen Berichterstattern später als "sehr beeindruckend" ("ohne ein Ruckeln") beschriebene Demonstration erscheint mir persönlich eher unbefriedigend. Das alles wirkt mitnichten flüssig und vor allem genau nach dem, was es auch ist - Java-Programme in einer Linux-Umgebung. Ein echtes "Amiga-Feeling" kann ich nirgendwo erkennen. Aber trotz der nur bedingt zu Jubelstürmen begeisternden Präsentation bekam der Messebesucher immerhin bereits etwas zu sehen und musste sich nicht lediglich mit Ankündigungen begnügen. Das gab es in den letzten Jahren der unglücklichen Amiga-Odysee nicht mehr. Wer hat da "QNX" gerufen ?
Abschließend gibt der nach wie vor blendend gelaunte McEwen den Zuhörern noch die Gelegenheit zu Nachfragen. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse sind eher bescheiden, lediglich die Auskünfte bezüglich des "Classic OS" sind ernüchternd. In den Planungen McEwens spielt das althergebrachte Amiga-Betriebssystem keine Rolle mehr, wenngleich man für das neue Betriebssystem einen Emulator anbieten wird, damit die Anwender ihre alten Amiga-Programme auch weiterhin verwenden können. Insbesondere plane man jedoch keine Portierung des AmigaOS 3.x auf PowerPC-Basis. McEwen führt aus, dass er das Thema mit zahlreichen Experten, darunter Carl Sassenrath und Dr. Alan Havemose, besprochen habe. Der Tenor sei eindeutig gewesen - dafür benötige man in jedem Fall mindestens anderthalb Jahre Entwicklungszeit, ohne dass man danach mit einem wirklich 100%ig abwärtskompatiblem Produkt aufwarten könne. Das lohne sich betriebswirtschaftlich nicht und es sei auch nicht mit der auf Prozessorunabhängigkeit ausgerichteten Strategie der Firma vereinbar. Haage & Partner, so ist im Verlauf des Messesamstags aus dem Umkreis der Firma zu vernehmen, ist mit dieser Entscheidung nicht sonderlich glücklich und versucht nach wie vor, sich die Möglichkeit einer PPC-Portierung offen zu halten. Ob man damit Erfolg haben wird, bleibt abzuwarten. Ob es angesichts der offenkundig auf TAOs "Elate" aufbauenden offiziellen Amiga-Zukunft überhaupt noch Sinn macht, sei einmal ganz dahingestellt. Inzwischen hat sich auch die Messehalle ein wenig geleert, und ich beginne den "gemütlichen" Teil des (Messe)Tages: Shoppen und ficken. Äh, nein, das war ein Theaterstück. Ich widme mich stattdessen in gänzlich jugendfreier Weise zunächst diversen Einkäufen und dann einigen (zu wenigen und zu kurzen) Gesprächen. Dabei scheitert mein Versuch, ein Update auf die damals für sehr viel Geld erworbene "Turboprint"-Version 5 zu erhalten. COOLbits-Inhaber Martin Strobl will mir nur Version 7 zum Vollpreis verkaufen, worauf ich aber dankend verzichte. Stattdessen erstehe ich "fxPAINT"-Version 1.5, wozu ich aus nicht wirklich nachvollziehbaren Gründen die Original-CD vorzeigen muss. (Glücklicherweise war dies im Vorfeld der Messe angekündigt gewesen.) Als nächstes tue ich der Tageskasse des APC & TCP etwas Gutes und erwerbe dort für 45 DM die von Epic Marketing hergestellte CD-ROM "Amiga Classix 2", die neben einigen wenigen kommerziellen Spielen (u. a. "Ports Of Call", "Beneath A Steel Sky", "Hilt" und "Hannibal") vor allem über 200 Freeware- und Shareware-Spiele enthält, und die ich mittlerweile als Fehlinvestition verbuche, obwohl sich die Ersteller der CD-ROM die anerkennenswerte Mühe gemacht haben, jedem Spiel ein auf die jeweils erforderliche Systemumgebung hinweisendes Skript voranzustellen. Noch weiter in die Computervergangenheit führt mich dann eine andere CD-ROM, die ich dann, um den werten Leser vollends zu verwirren, bei Epic Marketing erstehe (und zwar für 35 DM). Die "C=64 ClassiX" enthalten neben diversen C64-Emulatoren für "Windows"-Rechner und den Amiga auch 10 000 SID-Musikstücke (weniger interessant) und vor allem ungefähr 3 000 C64-Spiele aus allen Branchen. Darunter befinden sich unzählige Klassiker wie "Summer Games", "Winter Games" oder "Parallax", ein genauerer Blick lässt jedoch Zweifel aufkommen, ob die CD-ROM so koscher ist, wie sie sein sollte. Denn nicht nur, dass viele Spiele mit einem Cracker-Vorspann versehen sind. Die CD-ROM enthält überdies keinerlei Herstellervermerk (lediglich eine "Readme"-Datei weist eine australische Firma als Kontaktadresse aus) und stattdessen den nur wenig vertrauenserweckenden und natürlich äußerst klein geschriebenen Hinweis, dass alle Programme von diversen Internet-Seiten heruntergeladen wurden und die Inhaberschaft der Nutzungsrechte nicht behauptet wird. Diese Silberscheibe ist zwar für den Computerfreak weitaus interessanter als es die "Amiga Classix" sind, sie ist aber leider wohl auch für den Urheberrechtler ganu erheblich interessanter.
Nachdem ich damit meiner moralischen Pflicht zur Alimentierung der verbliebenen Amiga-Händler im Rahmen meiner finanziellen Möglichkeiten nachgekommen bin, suche ich mir nun ein paar prominente Amiga-Zeitgenossen, um mich mit ihnen ein wenig über die Messe, ihre aktuellen Projekte und die Zukunft des Amiga zu unterhalten. Beinahe schon obligatorisch ist dabei ein kleines Schwätzchen mit Markus Pöllmann, der mir ein wenig über seine Tätigkeit im Dienste von Haage & Partner erzählt. Er kümmere sich gegenwärtig vor allem um die Textverarbeitung "Amiga Writer", teile sich sein Büro sogar mit Jochen Becher, dem primär für den "Amiga Writer" zuständigen Programmierer. Zwar habe sich bei der gerade endlich erschienenen Version 2 schon sehr viel getan, man habe aber nach wie vor auch noch zahlreiche weitere Pläne, wolle den "Writer" zu einer vollwertigen Textverarbeitung machen, die es von den für den Endanwender relevanten Funktionalität durchaus mit "Word" aufnehmen können soll. Und natürlich sei auch das Projekt "Phoenix" nicht gestorben. Das unter der Ägide des APC & TCP entwickelte Ballerspiel, dessen Programmcode im Wesentlichen im Rechner Pöllmanns entstanden ist und noch entsteht, harrt schon in etwa so lange wie die "Tales Of Tamar" seiner Fertigstellung. Dies werde er, so Pöllmann, ändern. Sobald er die Zeit habe. Oder auch nicht. Oder so. In derselben Klasse der brillianten und entsprechend vielbeschäftigten Programmierer, in der Pöllmann spielt, spielt seit gut einem Jahr auch ein anderer junger Mann aus dem Süden Deutschlands. Der wie stets tadellos seriös gekleidete Felix Schwarz, der als Unteraussteller am Stand von COOLbits seine Messeheimat gefunden hat, zeigt mir, nachdem ich mich für die Zusendung des Rezensionsexemplars (vgl. den Testbericht in "AmigaGadget"#44) bedankt habe, stolz die erst vor kurzem fertiggestellte Version 1.5 seines famosen 24-Bit-Grafikbearbeitungsprogrammes "fxPAINT". Meiner Kritik, aufsehenerregende Schriftzüge ließen sich mit dem Programm nur sehr mühsam erstellen, während das GNU-Programm "GIMP" diese Aufgabe auf idioten- und "Gadget"-Herausgeber-sichere Weise löse, widerspricht er entschieden. Jeder, der sich mehrere hundert Stunden mit "fxPAINT" beschäftigt und alle Programmroutinen selbst geschrieben habe, könne ähnliche Effekte ohne Probleme und nahezu mühelos erstellen. Das kann ich freilich nur schwer bestreiten. Während ich mich in Gedanken versunken von Felix Schwarz abwende, stoße ich auch schon beinahe mit Sebastian "FunTime" Brylka zusammen, den ich nur an seinem "funtime-world.de"-T-Shirt erkenne, da er seine Haare neuerdings wohl erheblich kürzer trägt als noch bei der HEW in Köln. Wie bei jeder Amiga-Messe unterhalten wir uns ein Viertelstündchen recht angeregt und tauschen uns über alle möglichen Neuigkeiten aus. Sebastian ist dabei ganz verblüfft, dass mir das Gerücht von der angeblich geplanten kostenlosen SDK-Version für Studenten auch schon zu Ohren gekommen ist. Das sollte mir möglicherweise hinsichtlich des Rufes des "AmigaGadget" zu denken geben, das offenkundig selbst bei ihm wohlgesonnenen Zeitgenossen nicht als allzu gut informiertes Nachrichtenmagazin gilt. Tut es aber nicht.
Als ich dann schließlich noch einen allerletzten Rundgang durch die inzwischen doch deutlich menschenleerere Halle absolviere, tritt mir plötzlich jemand in den Weg. "Andreas Neumann ?" Verdammt. Haben SIE mich also doch noch gefunden ? Ich stelle mich dumm (was mir nun wahrlich nicht sonderlich schwer fällt), halte mich zur Flucht bereit und täusche Verwunderung vor. "Ich bin's, Christian Keller." Ich bin einerseits erleichtert, dass es sich um den ehemaligen Herausgeber des Freeware-Magazins "Starmag" handelt, andererseits aber schockiert, weil auch "Chrisman" im Vergleich zur Kölner Messe des Vorjahres seine Haarpracht auf BWL-Länge heruntergestutzt hat. Sollte ich da etwa einen Trend verpasst haben ? So wie eigentlich immer während der letzten zwei Jahrzehnte ? Nach einem - wie stets - erfreulichen und (zumindest seinerseits) freundlichen Gespräch, schenkt mir Christian zum Abschied noch sechs "Amiga Revolution"-Aufkleber. Ich danke ihm, zutiefst gerührt, und verspreche hoch und heilig, sie direkt neben die "Amiga Walker"-Plakate, die "Berlin Olympia 2000"-Kugelschreiber und die "Rühe statt Simonis"-Aufnäher in meinen Schrank zu legen. Mein endgültig letzter Weg führt mich dann noch einmal zu Martin Wolf, der nun endlich einmal nicht von einer Horde "Tales of Tamar"-gieriger Messebesucher umringt wird. Nach der obligatorischen Frage, wann denn nun eigentlich mit der überfälligen Fertigstellung des Spiels zu rechnen sei, auf die es prompt die bewährte und schon seit Jahren gleichlautende Antwort gibt ("Nach unseren Planungen noch in diesem Jahr."), nutze ich die Gelegenheit, um mich für die gute, freundliche und preiswerte Hilfe zu bedanken, die mir Wolf Ende 1999 beim Zusammenbau meiner auf dem Postwege übel zugerichteten jüngsten Amiga-"Neu"erwerbung zukommen ließ. Dem blanken Unverständnis, das aus seinen Augen spricht, entnehme ich, dass er sich nicht im Geringsten an die Begebenheit erinnert (welche insoweit vielleicht doch ein wenig ungewöhnlich war, als ich damals den Rechner per S-Bahn von Bonn zum "Eternity"-Ladengeschäft nach Frechen transportiert hatte, was zweimaliges Umsteigen erforderlich machte und zu einem ordentlichen Muskelkater am nachfolgenden Tag führte). Zu allem Überfluss fasele ich dann auch noch was von "Ferchen" (statt "Frechen"), und während Wolf seiner Umgebung die Sorte von hilfesuchenden Blicken zuwirft, die man in der Gegenwart von offenkundig geistesgestörten (und möglicherweise gefährlichen) Zeitgenossen aussendet, ziehe ich mich so unauffällig wie möglich zurück. Nicht ohne mir auf dem Weg zum Neusser Bahnhof ein Speiseeis zu gönnen. Das beruhigt.
Das Fazit, das man in einigem zeitlichen Abstand von der Messe ziehen kann, fällt, wenig überraschend, durchaus zwiespältig aus. Auf der einen Seite hat der Falke-Verlag alles in allem betrachtet sein Debüt als Veranstalter der alljährlichen Amiga-Messe in Deutschland gut gemeistert. Die Besuchermassen, die am Samstag die Hallen füllten, vermittelten allen Beteiligten sicherlich ein schon verloren geglaubtes Gefühl der Hoffnung, obwohl diese ja ohnehin bekanntermaßen zuletzt stirbt - was eigentlich nur daran liegen kann, dass sie vorher alle anderen umgebracht hat. An dieser Einschätzung ändert auch der übereinstimmenden Berichten zufolge erheblich geringere Besucherzuspruch am Messe- und Pfingstsonntag nichts. Doch eins muss andererseits auch dem Falke-Verlag, den im Amiga-Markt tätigen Firmen und den Amiga-Anwendern bewusst sein: Vom Umfang her stellte Neuss 2000 einen weiteren erheblichen Rückschritt gegenüber Köln 1999 dar (laut Petra Struck von amiga-news.de fanden insgesamt etwa 3 200 Besucher den Weg nach Neuss). Wenn nicht bald neue Produkte am Markt erscheinen, neue Nutzerschichten gewonnen oder alte wiedergewonnen werden können, wird die alljährliche Amiga-Messe ihren Weg zu einem besseren Computer-Flohmarkt unaufhaltsam fortsetzen. Der erste Versuch der Firma Amiga, sich wieder einem größeren Publikum und in einem (zumindest etwas) professionellerem Umfeld zu präsentieren, ist jedenfalls grandios fehlgeschlagen. Während Petro Tyschtschenko noch in den "Messe-News" die Anwesenheit Amigas bei der diesjährigen CeBIT Home in Leipzig verkünden durfte und der Falke-Verlag dies als "die Überraschung" feierte, hatte die CeBIT-Messeleitung bereits ihre Entscheidung verkündet, die CeBIT Home zumindest in diesem Jahr ausfallen zu lassen. Aber auch das passt nun wieder ins Bild.